Projekt Landmarke – digitale Orientierungshelfer für die Feuerwehr

16. Oktober 2009

Ein Wohnungsbrand: Schwarzer Rauch und immens hohe Temperaturen. Feuerwehrleute, die das brennende Gebäude betreten mĂĽssen und zur Navigation erlernte Regeln befolgen, wie etwa sich stets an der rechten Wand entlang zu tasten, kriechen, um der Hitze – so gut es eben geht – zu entgehen. Man muss kein Experte sein, um sich vorzustellen, welchen Schwierigkeiten die Feuerwehrleute hinsichtlich der Orientierung ausgesetzt sind.
Darum starteten Mitarbeiter der Fraunhofer-Gesellschaft 2008 mit dem Projekt Landmarke einen Versuch, die Feuerwehr durch gezielte Hilfsmittel bei ihrer Arbeit und den daraus folgenden Problemen zu unterstĂĽtzen. FIT fĂĽr Usability hat mit dem Diplom Media System Designer Sebastian Denef auf der Suche nach der Beantwortung der Frage „Was sind eigentlich diese Landmarken?“ ĂĽber das Projekt gesprochen.

FIT für Usability: Sie, als Mitarbeiter der Fraunhofer-Gesellschaft, arbeiten zusammen mit der Universität Siegen, der Berufsfeuerwehr Köln und anderen Forschungs- und Industriepartnern an dem Projekt Landmarke. Können Sie vielleicht in wenigen Sätzen zusammenfassen, worum es bei diesem Projekt geht?

Sebastian Denef: Wir entwickeln ein System, mit dem wir Feuerwehrleuten dabei helfen wollen während eines Einsatzes in Gebäuden, in denen es brennt, besser navigieren zu können. Dieses System soll sowohl die Zusammenarbeit mehrerer Feuerwehrteams unterstĂĽtzen – also zum Beispiel wenn ein Trupp bereits im Gebäude war und dann der nächste Trupp ĂĽbernehmen soll – als auch einen einzelnen Trupp und sogar einen einzelnen Feuerwehrmann.

FIT fĂĽr Usability: Wie ist das Projekt zustande gekommen?

Sebastian Denef: In unseren Studien mit der Feuerwehr Paris hat sich gezeigt, dass die Navigation in brennenden Gebäuden aufgrund der schlechten Sichtverhältnisse ein Problem darstellt. Die Einsatzkräfte kriechen auf dem Boden um sich vor der Hitze zu schützen und müssen sich unter schlechten Sichtbedingungen zurechtfinden in Gebäuden, in denen sie vorher noch nie waren.

In Forschungsprojekten wurde bisher versucht, den Feuerwehrmännern den Weg vergleichbar mit einem Navigationssystem eines Autos zu zeigen, also anhand von genauen Orts- und Richtungsangaben. Bei entsprechenden Simulationen hat sich in unseren Studien allerdings gezeigt, dass diese Art der Navigationsunterstützung problematisch sein kann, da sie nicht auf den existierenden Praktiken aufbaut. Feuerwehrleute navigieren kollaborativ in Teams, die Navigation wird ermöglicht durch das Ertasten des Raumes, Referenzpunkte wie Türen, Fenster und markante Einrichtung unterstützen die Orientierung. Die Einführung neuer Technologie muss berücksichtigen, dass bei der Feuerwehr erprobte Handlungsabläufe bestehen, die seit Jahren trainiert werden, also müssen nicht nur neue Technologien, sondern letztlich auch neue Einsatztechniken entwickelt werden.

Außerdem ist es in der Realität bisher jedoch kaum möglich in unbekannten Gebäuden ohne vorhandene Infrastruktur genau zu bestimmen, wo der Feuerwehrmann ist.

FIT fĂĽr Usability: Worin besteht denn nun Ihr System?

Sebastian Denef: Was wir machen wollen ist, dass die Feuerwehrleute im Gebäude kleine digitale Marken setzen können. Diese sollen dann als neue Referenzpunkte dienen. Wir nennen diese Marken Landmarken, daher auch der Name des Projekts. Auf diesen Marken sollen die Feuerwehrleute Informationen abspeichern, lesen und wiederfinden können, anhand eines in der Ausrüstung integrierten mobilen Computers.

In Workshops haben wir mit einfachen Prototypen begonnen herauszufinden, wie so ein System funktionieren könnte und welche Informationen wesentlich sind. Dabei ist herausgekommen, dass es zum Beispiel sinnvoll ist, wenn ein Feuerwehrmann, bevor er in einen Raum geht, diesen markiert, also eine Landmarke vor der Tür ablegt. Wenn er den Raum wieder verlässt, dann muss der Status der Landmarke geändert werden, so dass klar ist, dass dieser Raum bereits durchsucht ist. Was die Feuerwehr bisher macht ist, die Räume mit Kreide zu markieren. Das heißt, es gibt bereits eine Art Markierungssystem, aber die Kreidestriche sind im Dunkeln nicht immer gut zu erkennen. Hier haben wir mit einfachen Prototypen der Landmarken, die ihre Statusinformation mit LEDs darstellen, gute Ergebnisse erzielen können.

FIT für Usability: Vielleicht können Sie kurz erläutern, inwieweit sich die Landmarken noch weiterentwickeln sollen. Sie sagten, dass die momentanen Prototypen ihren Status mit LEDs verdeutlichen. Was sollen diese in Zukunft können?

Sebastian Denef: Was unter anderem passieren soll ist, dass wir mit Funktechnologie arbeiten wollen, um die Landmarken orten zu können. Wir sind gerade dabei herauszufinden, ob es möglich ist über die Signalstärke, die man zu einer Landmarke hat, abschätzen zu können, wo deren relative Position ist. Dies sollte anhand von speziell ausgerichteten Antennen am Feuerwehrmann funktionieren.

Wir versuchen übrigens den dabei entstehenden Zusatzaufwand für die Feuerwehrmänner zu minimieren. Wir wollen die existierenden Praktiken nicht ersetzen, sondern eine zusätzlichen Unterstützung zu schaffen, wenn die Orientierung schwierig wird oder wenn ein Notfall eintritt. Dann kann eine Landmarke zeigen, dass hier der Ort ist, an dem die Einsatzkraft vorher war und kann sich so wieder orientieren.

FIT für Usability: Als Online-Initiative des Förderverein Usability-Netzwerk Bonn/Rhein-Sieg e.V. und des Kompetenzzentrums Usability des Fraunhofer-Instituts FIT interessiert uns selbstverständlich immer auch der Aspekt der Usability. Inwieweit spielt Usability bei Ihrem Projekt eine Rolle?

Sebastian Denef: Wenn man lediglich sagt, Usability definiert sich darüber wie gut ich eine bestimmte Aufgabe erledigen kann und versucht nur das zu messen, dann ist es sehr schwierig das auf unser Projekt anzuwenden, denn die Aufgaben hier sind sehr komplex. Es geht immerhin darum in einem brennenden Gebäude den Weg zu finden und Menschen zu retten. Diese Aufgabe genau zu testen, ist sehr schwierig, denn jeder Einsatz ist einmalig. Man kann nicht einfach sagen, wir lassen jetzt diese Handlung drei Mal durchlaufen. Zusätzlich ist es so, dass die Feuerwehrleute sehr eng zusammenarbeiten. Das heißt, es geht nicht um die Interaktion zwischen einer Person und einem System, sondern zwischen vielen Leuten mit der Technologie.

Wir versuchen letztlich nicht ein System zu testen, sondern wir entwickeln ein neues System, gemeinsam mit den Feuerwehrleuten. Im Prinzip entwickeln wir nicht ein Gerät für eine bestimmte Aufgabe, sondern auch eine neue Einsatztaktik. Das ist die Herausforderung.

FIT für Usability: Dennoch wird es aber Ihr Ziel sein, die Gestaltung und Nutzung der Landmarken möglichst effektiv und effizient zu machen, angepasst an die Bedürfnisse der Feuerwehrleute.

Sebastian Denef: Ja absolut. Es gibt viele Aspekte, die für eine gute Nutzung der Landmarken wichtig sind. Zum Beispiel müssen sie mit Handschuhen bedient werden können und auch trotz Maske und Rauch und der hohen Temperatur müssen Informationen richtig erkannt werden. Auf all solche Dinge müssen wir achten. Diese zu messen, kann im konkreten Fall allerdings schwierig sein, da jeder Einsatz einzigartig ist.

Neben Effektivität und Effizient ist für uns ist sicherlich auch die Zufriedenstellung der Nutzer wichtig. Denn wir müssen ja den Feuerwehrleuten etwas mitgeben, was sie auch tatsächlich benutzen wollen, eine Technologie, die zu ihnen passt.

FIT fĂĽr Usability: FĂĽhren Sie denn Benutzungstests auf Ihren Workshops durch? Wenn ja, wie sehen diese aus?

Sebastian Denef: Wir entwickeln das gesamte System mit den Feuerwehrleuten zusammen, in ständiger Absprache. Wir können momentan noch keine Benutzungstests des Gesamtsystems durchführen, da wir dieses ja erst noch entwickeln. Was wir daher machen ist, dass wir Prototypen bauen, die Teilfunktionalitäten abbilden. Diese bringen wir in die Praxis, simulieren also Einsätze mit den Feuerwehrleuten, und diskutieren dann wie wir das System weiter entwickeln.

Um ein besseres Verständnis der Praxis zu bekommen, führen wir zudem Workshops durch, in denen wir Forscher selber in die Rolle einer Einsatzkraft schlüpfen. Das heißt, wir beobachten die Feuerwehrleute nicht nur aus der Distanz, sondern wir nehmen selber an simulierten Einsätzen teil, mit voller Einsatzausstattung. So müssen wir uns nicht nur auf die Erzählungen der Feuerwehrleute stützen sondern haben die Einsatzbedingungen auch selber erspürt. Dies dient dem Aufbau von Empathie zu unseren Nutzern und sorgt für ein besseres Verständnis. Eine Methode, die wahrscheinlich viel zu selten benutzt wird.

FIT für Usability: Das Landmarke-Projekt läuft über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Inwieweit wurden die Ziele, die Sie sich vorgenommen haben, bis jetzt erreicht? Was ist für die Zukunft geplant und wie lange soll das Projekt noch laufen? Vielleicht können Sie ja noch einmal kurz zusammenfassend auf diese Aspekte eingehen.

Sebastian Denef: Der Projektanfang war letzten Sommer und das Projekt läuft bis Juni 2011, also drei Jahre. Wir haben schon viele Workshops durchgeführt, um das System zu gestalten, Teilkonzepte zu evaluieren und die Feuerwehrpraxis zu erleben. Im Projekt gibt es auch Studien, die erforschen, wie sich die Technologie unter Einsatzbedingungen verhält. Der nächste Schritt ist, dass wir Ende des Jahres den Prototyp eines ersten Gesamtsystems testen wollen.

FIT für Usability: Aber Sie sind zuversichtlich, dass Ihre Ziele umgesetzt werden können? Drei Jahre sind ja wirklich kein allzu großer Zeitraum.

Sebastian Denef: Es ist auf jeden Fall eine Herausforderung. Wir können heute nicht sagen, das wird auf jeden Fall klappen. Wir haben aber bis jetzt ganz positive Indikatoren, dass unsere Idee hilfreich und sinnvoll sein kann die Praxis zu unterstützen, und technisch sind wir dabei, Lösungen zu erarbeiten. Landmarke ist ein echtes Forschungsprojekt. Das heißt, dass viele Fragen noch nicht klar beantwortet sind. Wie können Feuerwehrleute im Einsatz mit einem Computer interagieren? Wie muss das Gehäuse so einer Landmarke beschaffen sein, dass das Licht in alle Richtungen ausstrahlt und man es im dunklen Rauch erkennen kann? Welche optischen und akustischen Signale können wir verwenden? Alle diese Fragen benötigen noch eine Antwort.

FIT fĂĽr Usability: Vielen Dank fĂĽr das Interview, Herr Denef.

Das Interview fĂĽhrte Lisa Hoffmann.

Sebastian Denef
Sebastian Denef

Sebastian Denef studierte an der Hochschule Darmstadt Media System Design, einen interdisziplinären Studiengang der Fachrichtungen Design, Informatik und BWL. Nach seinem Abschluss arbeitete er als Projektmanager bei iconmobile, einer führenden, internationalen Agentur für mobile Anwendungen. Seit 2006 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer Institut FIT tätig. Im europäischen Forschungsprojekt OpenInterface war er zuständig für die nutzerzentrierte Entwicklung und forscht derzeit im Projekt Landmarke mit dem Schwerpunkt auf Mensch-Computer Interaktion in sicherheitskritischen Umgebungen.

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