Per Mathe zu Usability?

18. März 2005

Führen Benutzer während ihrer Interaktion mit einem System komplexe mathematische Berechnung in ihren Köpfen durch? Dieser Ansicht ist zumindest Harold Thimbleby vom University College London. Auch wenn Benutzer diese Berechnungen nicht explizit ausführen, so lassen sich Systemaktionen und -zustände in Thimblebys Ansatz per Matrizenmultiplikationen modellieren. Diese Notation wird genutzt, um durch reine mathematische Berechnungen wesentliche Usability-Merkmale eines Systems zu bestimmen.

Thimbleby wirbt mit der Einfachheit seiner Methode, für welche lediglich Oberstufenkenntnisse der Mathematik ausreichen sollen. Die Methode soll sich sogar größtenteils automatisieren lassen. Dies soll sie auch für Durchschnittsbenutzer interessant machen.

Interaktive Systeme als Endliche Automaten

In seinem Beitrag zeigt Thimbleby, dass sich interaktive Systeme formal als Endliche Automaten abbilden lassen. Ausgehend von dieser Grundlage erarbeitet er die funktionale Äquivalenz zwischen der Notation als Endlicher Automat und einer Matrixnotation. So argumentiert Thimbleby, dass sich interaktive Systeme letztendlich durch Matrizen abbilden lassen. 

Systemzustände, Benutzeraktionen, Vektoren und Matrizen

In der Matrixnotation wird der Zustand des interaktiven Systems durch eine eindimensionale Matrix – also durch einen Vektor – repräsentiert. Jede Aktion innerhalb des interaktiven Systems kann den Zustand desselben verändern. Wie genau sich der Zustand ändert, lässt sich nun durch eine Matrizenmultiplikation berechnen. Dabei wird ein Vektor – der momentane Systemzustand – mit einer Matrix multipliziert. Diese Matrix repräsentiert die Veränderung, die durch die korrespondierende Aktion ausgelöst wird. Das Resultat der Multiplikation ist ein weiterer Vektor – der neue Systemzustand. Dieser Vektor kann auch identisch zu dem vorherigen Vektor sein. In diesem Fall hat die ausgeführte Aktion nichts bewirkt, dass heißt, keine Veränderung des Systemzustandes verursacht. 

Prinzipiell lässt sich jede mögliche Aktion in einem interaktiven System durch eine solche Übergangsmatrix abbilden. Natürlich gilt, je komplexer das System und je mehr Zustände möglich sind, desto größer und unübersichtlicher werden die Matrizen. Thimbleby sieht hier jedoch kein Problem, da sich die Berechnungen per mathematischen Software Tools wie zum Beispiel Matlab, Axiom oder Mathematica automatisieren lassen.

Mathematische Usability Evaluation

Und wie soll das nun bei der Usability Evaluation von Benutzungsschnittstellen helfen? Auch ohne Kenntnisse der genauen Systemzustände lassen sich schon durch Multiplikation der Matrizen einige interessante Eigenschaften der Benutzungsschnittstelle untersuchen. So lässt sich zum Beispiel durch einfache Multiplikation von zwei Matrizen feststellen, welches Resultat die aufeinander folgende Ausführung von zwei Aktionen hat. Ist das Resultat, zum Beispiel, eine Einheitsmatrix, so heben sich die Aktionen auf. In anderen Worten, der Systemzustand nach Ausführung der Aktionen ist derselbe wie zuvor. 

Ist es zum Beispiel nicht möglich, die Inverse einer Matrix zu kalkulieren, dann kann ein Benutzer die soeben ausgeführte Aktion nicht rückgängig machen, dass heißt, der Benutzer kann nicht zum Ausgangszustand zurück kehren.

Durch Faktorisierung lässt sich auch ein Task/Action Mapping durchführen. Ausgehend von einer Ausgangsmatrix, die den gewünschten Zielzustand erzeugen kann, wird durch eine Faktorisierung der Matrix festgestellt, welche Aktionsabfolgen zur gewünschten Ausgangsmatrix führen können, beziehungsweise ob diese überhaupt erreicht werden kann. Anhand der benötigten Aktionen lässt sich dann erkennen, ob der Prozess einfach oder komplex gestaltet ist.

Anwendung der Methode

Thimbleby betont besonders den Wert seiner Methode für sicherheitskritische Anwendungen. Dort kann zum Beispiel festgestellt werden, ob das System das Eintreten von sicherheitskritischen Zuständen durch Benutzeraktionen zulässt. Ist dies der Fall, so sollten die Aktionen in jedem Fall umgestaltet werden. 

Wem dies alles zu theoretisch ist und auch einen kleinen mathematischen Exkurs nicht scheut, der findet in Thimblebys Beitrag einige praktische Anwendungen seiner Methode. Unter anderem hat Thimbleby die Menustruktur eines Mobiltelefons, die Speicherfunktionen eines Taschenrechners und ein Vielfachmessgerät unter die Lupe genommen und durchaus interessante Eigenschaften aufgedeckt.

Allerdings bleibt leider in seinem Beitrag offen, wie die Matrizen im ersten Schritt erstellt werden können. Auch fehlt leider eine Besprechung von geeigneten Kodierungsmethoden, wie Systemzustände und Aktionen in die Matrixnotation überführt werden können.

Originaltitel: User Interface Design with Matrix Algebra
Autor(en): Thimbleby, H.
Journal: ACM Transactions on Computer-Human Interaction
Ausgabe: 11(2)
Seiten: 181 – 236
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