Der Leitfaden Usability der Deutschen Akkreditierungsstelle „DAkkS“

11. April 2008

Die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS – füher DATech) hat Anfang 2008 einen umfassenden Leitfaden für die gebrauchstaugliche Produktgestaltung herausgegeben.

Der Leitfaden Usability beinhaltet drei große Abschnitte:

  • 1. Gestaltungsrahmen für den Usability-Engineering-Prozess
  • 2. Prüfverfahren für den Usability-Engineering-Prozess auf der Grundlage von DIN EN ISO 13407
  • 3. Prüfverfahren für die Konformitätsprüfung interaktiver Produkte auf Grundlage von DIN EN ISO 9241, Teile 11 und 110

1 Gestaltungsrahmen für den Usability-Engineering-Prozess

Der Gestaltungsrahmen für den Usability-Engineering-Prozess gibt Herstellern von interaktiven Systemen sowie Anwenderorganisationen, die IT-Entwicklungsprojekte durchführen, wertvolle Anregungen für Projektphasen

  • Produktidee
  • Projektvorbereitung
  • Anforderungsspezifikation
  • Implementierung und Test
  • Nutzung und Pflege

Des Weiteren werden erforderliche Querschnittsaktivitäten im Usability-Engineering-Prozess beschrieben und ein Beispiel für ein Nutzungskonzept und einen geeigneten Ausschreibungstext gegeben, der Usability-Engineering zu Projektbeginn forciert.

Im Leitfaden Usability wurde auch das „Prüfverfahren für den Usability-Engineering-Prozess auf der Grundlage von DIN EN ISO 13407“ aufgenommen, das das bisherige DATech-Prüfhandbuch Usability-Engineering-Prozess“, ersetzt (auch als „Leitfaden für die Evaluierung des Usability-Engineering-Prozesses bei der Herstellung und Pflege von interaktiven Systemen auf der Grundlage von DIN EN ISO 13407“ bekannt).

Das im Leitfaden enthaltenen „Prüfverfahren für die Konformitätsprüfung interaktiver Produkte auf Grundlage von DIN EN ISO 9241, Teile 11 und 110“ ersetzt das bisherige „DATech-Prüfhandbuch Gebrauchstauglichkeit“, das auch als „Leitfaden für die ergonomische Evaluierung von interaktiven Systemen auf Grundlage von DIN EN ISO 9241, Teile 11 und 110“ bekannt war.

2 Prüfverfahren für den Usability-Engineering-Prozess auf der Grundlage von DIN EN ISO 13407

2.1 Was ist ein Usability-Engineering-Prozess?

Ein Usability-Engineering-Prozess umfasst alle Aktivitäten im Rahmen der Entwicklung eines Produkts, die dazu dienen, ein gebrauchstaugliches Produkt zu entwickeln, das die Nutzer effektiv, effizient und zufrieden stellend nutzen können. Ein wirksamer Usability-Engineering-Prozess ist besonders wichtig bei so genannten „interaktiven Systemen“, also bei Software, Websites, Online-Shops, aber auch bei interaktiver Hardware wie z.B. Fahrkartenautomaten oder Videorekorder. Bei diesen „interaktiven Systemen“ ist das Risiko von Mängeln in der Gebrauchstauglichkeit sehr hoch. Daher setzt sich bei Produktherstellern zunehmend die Erkenntnis durch, dass gebrauchstaugliche Produkte nicht „zufällig“ gebrauchstauglich werden dürfen, sondern dass es hierzu erforderlich ist, geeignete Vorgehensweisen im Entwicklungsprozess zu etablieren – einen so genannten Usability-Engineering-Prozess.

2.2 Was steht in der Norm DIN EN ISO 13407?

Zwischenzeitlich gibt es eine Reihe von Usability-Normen, die Empfehlungen und Anforderungen an die gebrauchstaugliche Gestaltung von interaktiven Systemen enthalten (insbesondere die Normenreihe DIN EN ISO 9241). Nachdem diese Normen publiziert waren, stellte sich Herstellern zwangsläufig die Frage, was denn im Entwicklungsprozess zu tun sei, um die Empfehlungen und Anforderungen an interaktive Systeme konsequent zu erfüllen. Vor diesem Hintergrund wurde 1999 die Norm DIN EN ISO 13407 „Benutzer-orientierte Gestaltung interaktiver Systeme“ veröffentlicht.

Die Norm DIN EN ISO 13407 liefert einen grundsätzlichen Framework, der sowohl die folgenden Grundsätze der benutzer-orientierten Gestaltung definiert:

  • a) die aktive Beteiligung der Benutzer und ein klares Verständnis von Benutzer- und Aufgabenanforderungen
  • b) eine geeignete Funktionsaufteilung zwischen Benutzern und Technik
  • c) die Iteration von Gestaltungslösungen
  • d) multidisziplinäre Gestaltung

als auch die folgenden Designaktivitäten einfordert:

  • a) Verstehen und Festlegen des Nutzungskontexts
  • b) Festlegen von Benutzeranforderungen und organisatorischen Anforderungen
  • c) Entwerfen von Gestaltungslösungen
  • d) Beurteilen von Gestaltungslösungen gegenüber Anforderungen

2.3 Wozu dient das Prüfverfahren für den Usability-Engineering-Prozess?

Um die Wirksamkeit der in DIN EN ISO 13407 beschriebenen Designaktivitäten überprüfbar zu machen, wurde durch die DATech das Prüfverfahren für den Usability-Engineering-Prozess entwickelt, das es Herstellern, aber auch unabhängigen Prüfern ermöglicht, festzustellen, ob ein Prozess tatsächlich gebrauchstaugliche Produkte „produziert“.

Das Prüfverfahren für den Usability-Engineering-Prozess geht davon aus, das man in der Praxis drei so genannte „Reifestufen“ vorfindet, in denen sich ein Unternehmen mit seinem Usability-Engineering-Prozess gerade befindet (siehe Abbildung 1).


Abbildung 1: Die drei Reifestufen, auf denen man Usability-Engineering-Prozesse vorfindet

Auf jeder Reifestufe gibt es Anforderungen an die Durchführung des Prozesses, die sich innerhalb der Kategorien („Beurteilungsdimensionen“) in Abbildung 2 befinden.

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Abbildung 2: Beurteilungsdimensionen für Usability-Engineering-Prozesse gemäß DATech Leitfaden Usability

Das folgende Beispiel (Abbildung 3) illustriert, wie mit Hilfe des Prüfverfahrens für den Usability-Engineering-Prozess festgestellt werden kann, auf welcher Reifestufe sich ein Usability-Engineering-Prozess befindet

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Abbildung 3: Beispiel für die Anforderungen für den „Zeitpunkt des Einstiegs des Usability-Engineers in das Projekt“

3 Prüfverfahren für die Konformitätsprüfung interaktiver Produkte auf Grundlage von DIN EN ISO 9241, Teile 11 und 110

Wer heutzutage Produkte kauft, setzt voraus, dass diese allen geltenden Normen für eben diese Produkte entsprechen. Man stelle sich nur vor, der neue Geschirrspüler würde nicht nicht unter die Arbeitsplatte in der Küche passen, da der Geschirrspüler einen Zentimeter zu hoch ist. Undenkbar.

„Software ist anders.“ Man muss bei den meisten Softwareprodukten nicht lange suchen – wenn überhaupt – um auf unglaubliche Probleme zu stoßen, wie zum Beispiel:

  • Viel zu viele Schritte sind erforderlich, um zum Ziel zu gelangen
  • Benötigte Informationen sind einfach nicht zu finden
  • Unerwartete Systemreaktionen führen vom Arbeitsziel weg

Die Liste der Nutzungsprobleme ließe sich beliebig verlängern. Doch wie lässt sich nachweisen, ob ein entdecktes Problem wirklich der Software zuzuschreiben ist und nicht „dem dummen Benutzer“?

3.1 Normen für Software

Auch für Software gibt es Normen. In Hinblick auf die Vermeidung von Nutzungsproblemen wurde die Normenreihe DIN EN ISO 9241 veröffentlicht, die ursprünglich insgesamt 17 Teile hatte und sukzessive erweitert wird. Die Teile 11-17, 110, 151 und 171 beziehen sich primär auf Software. Über die Normenreihe DIN EN ISO 9241 hinaus gibt es noch weitere Normen für Software, auf die hier nicht weiter eingegangen wird. Alle relevanten Normen kann man auf einer CD-ROM beim Beuth-Verlag erwerben.

3.2 Warum existieren Prüfverfahren zu Normen?

Usability-Normen unterscheiden sich von technischen Normen dahingehend, dass die meisten der in den Usability-Normen enthaltenen Empfehlungen im „Kontext der Nutzung“ anzuwenden sind. Ohne ein definiertes Prüfverfahren wird die Prüfung auf Basis einer Usability-Norm zur „Beliebigkeit“. Ein definiertes Prüfverfahren ermöglicht unterschiedlichen Prüfern die Ermittlung von übereinstimmenden und reproduzierbaren Prüfergebnissen. Somit ist es wichtig, zwischen der „Prüfgrundlage“ (der Norm selbst) und dem eingesetzten „Prüfverfahren“ zu unterscheiden.
Das hier beschriebene Prüfverfahren wurde durch die Deutsche Akkreditierungsstelle Technik e.V. (DATech) erarbeitet und dient zur Konformitätsprüfung mit den Normen DIN EN ISO 9241-10/-11 und DIN EN ISO 13407. Die Prüfverfahren der DATech zielen auf Produktverbesserung (ISO 9241-11/-110) und Prozessoptimierung (DIN EN ISO 13407) ab und werden verbindlich von akkreditierten Prüfstellen angewendet. Die DATech-Prüfverfahren erheben keinen Anspruch auf „Alleingültigkeit“. Die Prüfverfahren zeigen vielmehr einen geeigneten Weg auf, der sich in der Praxis der Konformitätsprüfung bewährt hat.

3.3 Ablauf einer Überprüfung der Normkonformität eines Softwareprodukts mit DIN EN ISO 9241, Teile 11 und 110

Abbildung 4 illustriert den grundsätzlichen Ablauf der Gebrauchstauglichkeitsprüfung.

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Abbildung 4: Ablauf einer Überprüfung der Normkonformität eines Softwareprodukts mit DIN EN ISO 9241, Teile 11 und 110 gemäß DATech Leitfaden Usability

Zunächst muss der Nutzungskontext der zu unterstützenden Benutzer in Hinblick auf deren Aufgaben identifiziert und beschrieben werden. Es hat sich bewährt Nutzungskontexte in Form von „Kontextszenarien“ zu beschreiben, die auf Basis von – typisch 5 Kontext-Interviews mit tatsächlichen Benutzern erhoben werden. Das DaTech-Prüfverfahren beschreibt genau, was Kontext-Szenarien sind und wie diese erstellt werden. Auf Basis der Kontextszenarien werden dann unter Zuhilfenahme der DIN EN ISO 9241-110 Prüfkriterien ermittelt (siehe Abbildung 5), deren Einhaltung im Rahmen einer Inspektion sowie durch teilnehmende Beobachtungen von Benutzern an deren Arbeitsplatz überprüft wird.

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Abbildung 5: Ermittlung von Prüfkriterien für die Überprüfung der Normkonformität

Inspektion heißt, dass am Produkt zunächst festgestellt wird, ob bestimmte Prüfkriterien grundsätzlich „nicht erfüllt“ sind, da z.B. eine passende Funktion zur Erfüllung des Prüfkriteriums überhaupt nicht vorhanden ist. In solchen Fällen braucht der Prüfer nicht noch unter Zuhilfenahme von Benutzern herausfinden, was „ohnehin nicht geht“.

Nicht alle Nutzungsprobleme lassen sich im Rahmen von Inspektionen durch den Prüfer identifizieren. Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, teilnehmende Beobachtungen mit – typisch 3-5 – Benutzern an deren Arbeitsplatz vorzunehmen. Hier sollen Nutzungsprobleme entdeckt und in Form von „Critical-Incident-Szenarien“ aufgeschrieben werden. Man könnte sich fragen „Warum nicht gleich zum Benutzer gehen und nachsehen, welche Probleme es gibt?“. Nun, es lässt sich immer wieder feststellen, dass ganze Gruppen von Nutzungsproblemen, die bei teilnehmenden Beobachtungen festgestellt wurden, sich allesamt auf ein und dasselbe Prüfkriterium beziehen, das bereits im Vorfeld identifiziert wurde. Nur so kann dann der Prüfer bei der teilnehmenden Beobachtung die richtigen Schlüsse aus der Beobachtung selbst ziehen, um die gezielte Behebung des Problems nach der Prüfung vorzubereiten.

3.4 Die Rolle der DIN EN ISO 9241-11 bei der Konformitätsprüfung

Für jede identifizierte Abweichung von einem Prüfkriterium wird im Rahmen der Prüfung festgestellt, ob sich die identifizierte Abweichung als bedeutsames Hindernis für den Benutzer erweist. Nur bedeutsame Abweichungen werden im Prüfbericht als Nicht-Konformitäten bewertet. Um festzustellen, ob eine identifizierte Abweichung als Nicht-Konformität bewertet wird, wird die DIN EN ISO 9241-11 zur Erhärtungsprüfung hinzugezogen.

Im Rahmen der Erhärtungsprüfung wird für jede Abweichung festgestellt wie bedeutsam die grundsätzlichen Gebrauchstauglichkeits-Faktoren der DIN EN ISO 9241-11 verletzt wurden.

Die grundsätzlichen Gebrauchstauglichkeitsfaktoren der DIN EN ISO 9241-11

  • Effektivität
    (Wird ein erforderliches Arbeitsziel mit dem Softwareprodukt überhaupt erreicht?)
  • Effizienz
    (Wie aufwändig wird das erforderliche Arbeitsziel mit dem Softwareprodukt erreicht?)
  • Zufriedenstellung
    (Wie gross ist die subjektive Beeinträchtigung aus Sicht der Benutzer hierbei?)

3.5 Die Rolle der DIN EN ISO 9241, Teile 12 – 171 bei der Konformitätsprüfung

Immer wieder wird gefragt, inwieweit die DIN EN ISO 9241, Teile 12 – 171 bei der Prüfung mit dem 3. Prüfverfahren für die Konformitätsprüfung interaktiver Produkte auf Grundlage von DIN EN ISO 9241, Teile 11 und 110 berücksichtigt werden. Nun, um es ganz praktisch zu sagen: Soweit bei der teilnehmenden Beobachtung identifizierte Nutzungsprobleme sich aufgrund von Abweichungen der Teile 12-171 der DIN EN ISO 9241 niederschlagen, werden diese zwangsläufig identifiziert. Es ist jedoch ein Irrglaube, im Rahmen einer Konformitätsprüfung ökonomisch die Einhaltung aller etwa 500 Empfehlungen der DIN EN ISO 924, Teile 12 – 171 überprüfen zu können. Eine solche Prüfung zu Konformitätszwecken erweist sich als nicht praxistauglich. Nichts desto trotz werden bedeutsame Abweichungen auch von den Teilen 12-171 der DIN EN ISO 9241 während der Prüfung mit dem 3. Prüfverfahren für die Konformitätsprüfung interaktiver Produkte auf Grundlage von DIN EN ISO 9241, Teile 11 und 110 identifiziert.

4 Fazit

Auf insgesamt 221 Seiten werden im Leitfaden Usability zusammenhängend sowohl Best Practises für das Usability-Engineering als auch Methoden zur Prüfung der Wirksamkeit eines Usability-Engineering-Prozesses vereinigt.

Der Leitfaden Usability steht dem interessierten Leser kostenlos zum Download als PDF-Dokument zur Verfügung.

Leitfaden Usability,
Herausgeber: DAkkS Deutsche Akkreditierungsstelle AG ,
Download unter http://www.dakks.de/sites/default/files/71-SD-2-007_Leitfaden%20Usability%201.3.pdf

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