Kommunikationshilfen: Verbesserung der Lebensqualität – aber wo bleibt die Usability?

9. Februar 2010

Mit der Online-Umfrage “’Unterstützungstechnologie‘ was ist das – und warum spielt Usability hier eine entscheidende Rolle?“ starteten wir den Versuch die Gebrauchstauglichkeit von Unterstützungstechnologien, und hier besonders von elektronischen Kommunikationshilfen, für Menschen mit Behinderungen kritisch zu hinterfragen. Anfangs mit leichter Nervosität, weil nicht sicher wissend, ob das Thema Anklang bei der Nutzergruppe finden würde, stellten wir den Fragebogen im Oktober 2009 online. Es wurde schnell deutlich, dass unser Versuch gelingen sollte. Das Thema weckte großes Interesse und so nahmen weit über 100 Personen an der Umfrage teil.

Um die wichtigsten Ergebnisse schon einmal vorweg zu nehmen: Ja, erfreulicherweise verbessern Kommunikationshilfen die Lebensqualität von Personen, die nicht oder nur kaum verständlich sprechen können. Und nein, die Usability ist nicht perfekt – nicht annähernd. Es gibt einige Hinweise darauf, dass es erhebliche Mängel hinsichtlich der Effektivität, Effizienz und Zufriedenstellung gibt. Doch beginnen wir von vorne.

„Um eigene Bedürfnisse, Wünsche und Gedanken mitzuteilen.“

Elektronische Kommunikationshilfen sind Sprachcomputer, die es behinderten Menschen, die sich kaum oder gar nicht lautsprachlich verständigen können, erlauben Sprache zu erzeugen, so dass es den Nutzern ermöglicht wird, mit ihren Mitmenschen – seien es nun Eltern, Lehrer, Freunde oder Kollegen – zu kommunizieren, ihre Gedanken, Gefühle und Wünsche zu äußern. Hierzu werden zum Beispiel mittels Symbolen Phrasen beziehungsweise Sätze auf einem Touchpad-Display zusammengefügt, die dann von dem Gerät in natürlicher oder synthetischer Sprache geäußert werden. Wenn man zusätzlich betrachtet, welch heterogene Nutzergruppe (Alter, Behinderungsgrad, etc.) die Geräte ansprechen, vermag es keiner großen Fantasie, um sich vorzustellen, wie komplex diese sind und wie entscheidend hier eine gute Gebrauchstauglichkeit ist.

Zur Erfassung der Usability wurden zwei Online-Fragebögen entwickelt. Eine Version richtet sich an Erwachsene und eine andere an Kinder und Jugendliche. Letztere ist sprachlich einfacher gestaltet, unterscheidet sich inhaltlich jedoch nicht.

Insgesamt nahmen an der Online-Umfrage 247 Personen teil, 129 füllten den Bogen komplett aus. Die Altersspannweite war breit, so betrug die höchste Altersangabe immerhin 78 Jahre. Wenn man betrachtet, dass auch Schüler an der Umfrage teilgenommen haben, wird deutlich, dass generationsübergreifende Informationen vorliegen – ein Aspekt, der positiv hervorgehoben werden sollte. Nicht alle Teilnehmer waren Nutzer einer Kommunikationshilfe – von Interesse waren auch die Meinungen potentieller Nutzer, hier insbesondere bezüglich der Fragestellung, warum keine Kommunikationshilfen in Anspruch genommen werden. Circa 32 Prozent der Teilnehmer gaben an, dass sie einen Sprachcomputer verwenden.

„Bei Regen kann man den Talker nicht nutzen und wenn Sonne scheint auch nicht, denn dann kann man nicht sehen, was man schreibt. Das nervt.“

Wie in der Einleitung bereits angedeutet, hat die Umfrage gezeigt, dass die Lebensqualität durch die Nutzung einer elektronischen Kommunikationshilfe (von Benutzern oft Talker genannt) gesteigert wird. Dies ist eine wichtige Information, die unterstreicht, wie notwendig solche Geräte für Menschen mit eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit, Motorik und Mobilität sind.

Doch dies ist lediglich die eine Seite der Medaille. Die andere zeigt anhand der Nutzeraussagen deutlich, dass es erhebliche Mängel der Usability – auch auf Ebene der Effektivität – gibt. Immer wieder wurden das hohe Gewicht, die Geschwindigkeit und die Bedienung im Allgemeinen kritisiert. Auch wird die Kombinationsmöglichkeit mit anderen Geräten bemängelt, um zum Beispiel das Mobiltelefon mit anzuschließen. Die Akkulaufzeit ist in der Regel zu kurz und in lauten Umgebungen fällt es schwer die Geräte zu nutzen, da externe Geräusche die Sprachausgabe übertönen.

Katastrophal ist, dass die Bedienung im Freien einerseits durch Regeneinwirkung, andererseits aber auch durch Sonneneinstrahlung, da sie im Display blendet, behindert wird. Nun ist es jedoch leider so, dass eins der beiden Phänomene, also Regen oder Sonnenschein, im Freien meist auftritt, das heißt faktisch ist eine Kommunikation draußen kaum möglich. Nun stellt sich die Frage, wie es denn eigentlich bei Ihnen aussieht: Kommunizieren Sie lediglich in geschlossenen Räumen oder hören Sie unter freiem Himmel bei Regen oder Sonnenschein auf zu sprechen? Wohl eher nicht. Für viele tausend Menschen in Deutschland ist dies jedoch bittere Realität.

„Die Sprache klingt komisch, man hört nicht ob es eine Frage ist, man hört nicht, dass ich sauer bin, alles klingt gleich, ohne Betonung.“

Dieses geäußerte Zitat eines Nutzers beschreibt ein weiteres gravierendes Problem: die Sprachausgabe. Die meisten auf dem Markt befindlichen Geräte basieren auf synthetischer (künstlicher) Sprache. Im Gegensatz zur natürlichen Sprachausgabe, bei welcher die Kommunikationshilfe mehr oder minder als Tonbandgerät fungiert – also Phrasen bzw. Sätze natürlich-sprachlich aufgezeichnet und auf Knopfdruck wiedergegeben werden, können bei synthetischer Sprachausgabe alle erdenklichen Laute erzeugt werden. Dies bringt einige Vorteile mit sich, es entstehen jedoch auch – wie oben geäußert – Nachteile. Die Sprache klingt nicht nur befremdlich und zum Teil unverständlich, Nutzer von Kommunikationshilfen müssen zudem auf viele Dinge, die für Menschen, die über Lautsprache verfügen, selbstverständlich sind, verzichten. Dies mag vielleicht auf den ersten Blick wie ein schwer lösbares „Luxusproblem“ erscheinen, dennoch ist festzuhalten, dass Betonung, Emotionen und Ironie ein wesentlicher Teil menschlicher Kommunikation sind. Dieser Fähigkeit beraubt zu sein, bedeutet, nie vollkommen gleichwertig mit anderen agieren zu können.

Viel banaler jedoch als die fehlende Intonation ist die Tatsache, dass es – zumindest in Deutschland – keine synthetische Sprachausgabe für Kinder gibt. Sie müssen sich der Sprache Erwachsener bedienen. Doch welches Kind möchte mit der Stimme eines Erwachsenen sprechen? Hier herrscht dringender Nachholbedarf, denn eine altersgerechte Sprachausgabe dient auch und gerade der sozialen Integration.

„Ich freue mich, dass es jemanden interessiert, ob man mit seinen Geräten gut zurecht kommt.“

Festzuhalten ist abschließend, dass fehlende Kommunikationsmöglichkeiten nicht nur für die Betroffenen ein Problem darstellen, vielmehr besteht auch eine hohe gesellschaftliche Relevanz. Menschen, die nicht ausreichend gut kommunizieren können, stehen in der Arbeitswelt vor vielen Hindernissen, denn hier ist Kommunikation eine Grundvoraussetzung. Menschen, die keine Einschränkungen intellektueller Fähigkeiten haben, werden aufgrund von Kommunikationstechnologien, die nicht so gut sind, wie sie sein könnten, daran gehindert, ihr Potential auszunutzen. Berücksichtigt man zusätzlich Schlagworte wie soziale Nachhaltigkeit oder Chancengleichheit, muss man sich einmal mehr die Frage stellen, warum es bis dato kaum Forschung zum Thema `Gebrauchstauglichkeit von Kommunikationsmitteln‘ gibt – und dies, obwohl bekannt ist, dass Mängel auf Ebene der Effektivität, Effizienz und Zufriedenstellung bestehen.

Während sich Technologien wie Mobiltelefone oder Computer in den letzten Jahrzehnten stetig weiter entwickelt haben, fielen die Fortschritte bei der Entwicklung von Kommunikationshilfen im Vergleich dazu eher gering aus. Dies ist ein eklatantes Versäumnis, denn schließlich handelt es sich bei Geräten wie Kommunikationshilfen um die Möglichkeit ein grundlegendes Bedürfnis der menschlichen Psyche zu stillen: Kommunikation und dadurch die Teilnahme und Teilhabe an der Gesellschaft. Einem Bedürfnis, dessen Befriedigung schon jetzt für viele Menschen in Deutschland keine Selbstverständlichkeit darstellt – und diese Zahl wird ansteigen, wenn man betrachtet, dass mit steigender Lebenserwartung Erkrankungen wie Schlaganfälle und Parkinson zunehmen werden. Ein Problem also, das längst kein Randgruppenphänomen mehr ist. Vielmehr handelt es sich um eine Herausforderung der Zukunft, der sich Gesellschaft und Forschung stellen sollten.

Die Fraunhofer Gesellschaft wird einen Beitrag zu diesem Thema leisten. Unter der Leitung von Jan-Oliver Wülfing wird sie in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum Usability des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik FIT konkrete Studien zur Gebrauchstauglichkeit von elektronischen Kommunikationshilfen durchführen, um eine längerfristige Beseitigung der Mängel zu gewährleisten.

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