Ableton Live vs. Propellerhead Record: Oder welches Programm ist für Anfänger besser geeignet?

14. November 2011

Diese Frage habe ich mir in meiner Masterarbeit gestellt und eine vergleichende Usability-Analyse mit den Programmen Ableton Live und Propellerhead Record durchgeführt, um herauszufinden, welches Programm für Anfänger besser geeignet ist und mit welchem Programm die Nutzergruppe „lieber“ arbeitet.

Beide Programme ermöglichen es, Musik zu produzieren, Instrumente aufzunehmen und sie anschließend zu bearbeiten. Im Fachjargon spricht man von sogenannten DAWs (Digital-Audio-Workstations). Ich habe mich für diese beiden Programme entschieden, da die zu testenden Funktionen in beiden Programmen gleichermaßen existieren, aber recht unterschiedlich strukturiert und aufgebaut sind.

Abbildung 1: Screenshot: Ableton Live
Abbildung 1: Screenshot: Ableton Live

Abbildung 2: Screenshot: Propellerhead Record
Abbildung 2: Screenshot: Propellerhead Record

Die Untersuchung

Um die gängigen Produktionsschritte Aufnahme, Schneiden, Verschieben des Tonmaterials und Spuren hinzufügen zu testen, habe ich mir für die 10 Probanden (5 männliche und 5 weibliche) folgendes Szenario überlegt:

„Du findest zuhause im Keller eine alte Kassette, auf die ein Familienmitglied vor Jahren das Lied „Der Hahn ist tot“ in der französischen Version „Le coq est morte“ eingesungen hat. Nachdem die Stimme deines Familienmitgliedes verklungen ist, kann man noch eine Gitarre hören, die das Lied im gleichen Tempo wie der Gesang spielt. Gesang und Gitarre sind zeitlich getrennt voneinander aufgenommen worden.
Da bald der Geburtstag deines Familienmitglieds ansteht, hast du dir gedacht, daraus einen dreistimmigen Kanon zu produzieren, um ihn am Geburtstag vorzuspielen.
Nachdem du den Kanon richtig erstellt hast, möchtest du die Gitarre darunter legen. Anschließend willst du den Kanon als Audiodatei auf die Festplatte speichern.
Aber wie stellst du das alles an?
Alles was du hast, ist das Programm, die Kassette und der Kassettenrekorder.
Viel Spaß.“

Alle Probanden mussten die Aufgabe mit beiden Programmen lösen. Eine Hälfte der Probanden begann die Aufgabe mit Ableton die andere mit Record.
Jeder Test wurde mit der ScreenCapture Software Silverback 2.0 aufgezeichnet. Die Probanden wurden jedes Mal gebeten laut mitzudenken. Als Versuchsleiter stand ich durchgehend zu Verfügung, falls es Probleme geben sollte. Anschließend bekam jeder Proband einen Fragebogen, der zum einen den aktuellen AttrakDiff Fragebogen und zum anderen einen selbstzusammengestellten Fragebogen enthielt.
Jeder Proband hatte pro Programm maximal 1 ½ Stunden Zeit, um die Aufgabe zu lösen. Die Probanden durften lediglich die programminterne Hilfe beanspruchen, aber nicht das Internet benutzen.
Des Weiteren wurde eine Expertenanalyse durchgeführt. Drei Fachleute der FH Vorarlberg (University of Aplied Science) und ein Experte des Kompetenzzentrums Usability und User Experience Design des Fraunhofer Instituts (FIT) konnten für die Analyse gewonnen werden.
Die Experten evaluierten jeweils beide Programme mit dem standardisierten Fragebogen ISONORM 9241/10, der von der Webseite www.ergo-online.de kostenfrei beziehbar ist.

Die Ergebnisse

Videoanalyse
Für die Videoanalyse wurde zu jedem Test ein detailliertes Protokoll erfasst, um genaue Zeitangaben herauszufinden, wann welche Tätigkeiten (Aufnahme, Spur hinzufügen, Tonmaterial verschieben etc. …) von den Probanden durchgeführt wurden und wie lange sie dafür benötigten. Ein Beispiel zeigt die folgende Statistik zur ersten erfolgreichen Aufnahme.
Im Schnitt benötigten die Probanden bei Ableton 17:55 Minuten, um die erste Aufnahme zu tätigen. Bei Record lag der Durchschnittswert bei 09:45 Minuten.
Um die Aufgabe insgesamt zu bewältigen, benötigten die Probanden bei Ableton mindestens 21:41 Minuten und maximal 01:21:35 Stunden und dem gegenüber bei Record mindestens 26:01 Minuten und maximal 01:23:06 Stunden benötigt. Im Schnitt benötigten die Probanden bei Ableton 46:44 Minuten und bei Record 46:08 Minuten.
Die Endergebnisse sind im Schnitt sehr ähnlich.

Attrakdiff
Der Attrakdiff misst laut Hassenzahl die Attraktivität interaktiver Produkte. Die hier gemessene Pragmatische Qualität (PQ) bezieht sich auf die Benutzbarkeit, die Attraktivität (ATT) auf die globale Bewertung des Produkts, die Hedonischen Qualität-Identität (HQ-I) bildet ab, wie stark sich ein Nutzer mit dem Produkt identifiziert und die Hedonische Qualität-Stimulation (HQ-S) zeigt, ob das Produkt dem Nutzer hilft, sich weiterzuentwickeln.
Die Auswertung des AttrakDiff zeigt, dass beide Programme leicht über dem Mittelwert „0“ liegen. Ableton schneidet bei der HQ-I etwas besser ab. Beide Programme sind in Bezug auf die Zielgruppe jedoch verbesserungswürdig.

 Abbildung 3: Ergebnisse des Attrakdiff
Abbildung 3: Ergebnisse des Attrakdiff

Expertenanalyse
Die Expertenevaluation zeigt, dass die Programme im Allgemeinen eher negativ abschneiden, wobei Ableton eine etwas bessere Bewertung erhalten hat.

Abbildung 4: Ergebnisse der Expertenevaluation
Abbildung 4: Ergebnisse der Expertenevaluation

Das Fazit

Aus den Ergebnissen der drei verwendeten Analyse-Methoden – Usability Test, Probandenbefragung und Expertenevaluation, ergibt sich, dass die Usability beider Programme als durchschnittlich zu bewerten ist. Allerdings wird in der Gesamtbeurteilung erkennbar, dass Ableton in der Zielgruppe „absolute Anfänger ohne Vorkenntnisse in der Musikproduktion“ für die getestete Aufgabenstellung minimal besser bewertet wird als Record.
Die Attrakdiff-Analyse zeigt ebenfalls, dass beide Programme eher mittelmäßig von den Probanden bewertet wurden, Ableton aber in der pragmatischen und hedonischen Qualität sowie in der Attraktivität leicht besser abschneidet. Dieser Unterschied ist allerdings statistisch nicht signifikant. Dies mag an der geringen Anzahl von zehn befragten Probanden liegen.
In Bezug auf die sieben Gestaltungsmerkmale der DIN EN ISO 9241-110 liegen auch hier beide Programme im mittelmäßigen Bereich. Ableton wird in den Kategorien Aufgabenangemessenheit, Selbstbeschreibungsfähigkeit, Erwartungskonformität und Lernförderlichkeit besser beurteilt. Record erhält bei den Merkmalen Steuerbarkeit, Fehlertoleranz und Individualisierbarkeit eine höhere Bewertung.
Die durchschnittlichen Endergebnisse beider Programme zeigen Schwachstellen ihrer Usability auf und geben Hinweise auf Optimierungsmöglichkeiten. Um eine Verbesserung der Usability in den oben genannten Bereichen zu erlangen, erscheint in Zukunft die gezielte Anwendung von entsprechenden Usability Engineering Methoden als sinnvoll.

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