Zwangsdigitalisierung der Stromverbraucher – kommt jetzt der Taschenlampen-Boom?

27. September 2017

Die EinfĂŒhrung von digitallen StromzĂ€hlern (sog. „Smart Meter“) ist seit 2016 eine beschlossene Sache. Bei der Zustimmung im Bundestag wurde angeblich eine EU-Richtlinie zur Energieeffizienz umgesetzt, nach der 80% der Verbraucher bis 2020 mit intelligenten StromzĂ€hlen auszustatten sind, wenn dies als kostenwirksam angesehen wird. Eine Kosten-Nutzen-Analyse von Ernst & Young kam jedoch 2013 zum Schluss, dass diese Maßnahme nicht kostenwirksam sei, die EU-Richtlinie also nicht umgesetzt werden musste. Verdachtsmomente, dass sich die neuen ZĂ€hler „verzĂ€hlen“, und vergleichsweise höhere Kosten fĂŒr den Betrieb wĂŒrden potenzielle Nutzer wahrscheinlich abschrecken – wenn sie denn auf den Einsatz verzichten dĂŒrften. Die Usability der GerĂ€te verdient das PrĂ€dikat „Real Satire“.

„Mit den neuen Systemen bekommen Kunden einen besseren Überblick ĂŒber ihren Stromverbrauch und so die Möglichkeit zu energiesparendem Verhalten“ lobte der Projektverantwortliche der Stadtwerke Velbert die GerĂ€te. Aber wie kann z.B. der Verbrauch beim ‘Toilettengang’ mit angeschaltetem Licht abgelesen werden? Die „Kurzanleitung fĂŒr den elektronischen StromzĂ€hler EDL21“ des Verteilnetzbetreiber „Westnetz“ erklĂ€rt die Vorgehensweise: „Zur Bedienung des ZĂ€hlers ist lediglich eine handelsĂŒbliche Taschenlampe notwendig, mit welcher der Lichtsensor auf der Vorderseite des GerĂ€tes angeleuchtet wird.“

Abbildung 1: Display des elektronischen StromzÀhlers
Abbildung 1: Display des elektronischen StromzÀhlers

Um auf die Daten des intelligenten StromzÀhlers zuzugreifen, erhÀlt der Kunde von den Stadtwerken eine vierstellige PIN mitgeteilt, die vor der Bedienung des GerÀts mittels Lichtsignalen eingegeben werden muss. Wie das geht erörtert die Bedienungsanleitung:
„1. Leuchten Sie hierzu zweimal nacheinander kurz mit der Taschenlampe auf den Lichtsensor.
2. In der zweiten Displayzeile erscheint „PIN“ und an der ersten Stelle steht die Ziffer 0. Leuchten Sie den Lichtsensor mehrfach nacheinander kurz an, bis Sie die erste Ziffer Ihrer PIN sehen […] Warten Sie danach drei Sekunden, die Eingabe springt nun auf die nĂ€chste Stelle.“
FĂŒr die Eingabe der Ziffer „9“ muss der Nutzer den Lichtsensor also neunmal nacheinander kurz anleuchten. Fehleingaben machen einen Neustart des gesamten Vorgangs erforderlich.

Nach erfolgreicher PIN-Eingabe kann sich der Nutzer nun umfĂ€nglich ĂŒber seinen Stromverbrauch informieren und beispielsweise mit fĂŒnf Lichtblitzen den Verbrauch der letzten 30 Tage abfragen. Auch eine Nullstellung ist möglich: „Diese Funktion ist mit dem TageskilometerzĂ€hler eines Autos vergleichbar. FĂŒr die RĂŒckstellung auf Null leuchten Sie den Lichtsensor ohne Unterbrechung so lange an, bis der Wert in der Anzeige gelöscht wird.“ Damit wĂ€re z.B. der Verbrauch einer Waschmaschine messbar, wenn gleichzeitig alle anderen Verbraucher abgeschaltet, vor dem Waschgang mit der Taschenlampe die Nullstellung aktiviert und nach der WĂ€sche der aktuelle Wert abgelesen wird. Die PIN muss allerdings beide Male eingeblinkt werden, denn zwei Minuten nach dem letzten Anleuchten zeigt das Display wieder die aktuelle Leistung an.

Welcher Nutzen sich durch einen zwangsweisen GerĂ€tetausch fĂŒr den Nutzer ergibt, wenn dieser nicht umstĂ€ndlich ĂŒber Lichtsignale mit seinem StromzĂ€hler kommunizieren möchte, ist fraglich. Denn die GerĂ€te sind nicht vernetzt. Aber vielleicht erleben ja Taschenlampen demnĂ€chst einen Boom.

Quellen:
http://www.westnetz.de/web/cms/mediablob/de/1757002/data/1625938/6/westnetz/netz-strom/messstellenbetrieb/edl21-zaehler/Kurzanleitung-fuer-den-elektronischen-Stromzaehler-EDL21.pdf
https://scilogs.spektrum.de/datentyp/digitalisierung-mit-der-taschenlampe/
https://www.borncity.com/blog/2017/09/24/realer-irrsinn-deutschland-intelligente-stromzhler/

Diesen Beitrag bookmarken bei:
Bookmark bei: Yigg Bookmark bei: Webnews Bookmark bei: Technorati Bookmark bei: Mr. Wong Bookmark bei: Linkarena Bookmark bei: Del.icio.us Bookmark bei: Google Bookmark bei: Favoriten Bookmark bei: Facebook

Autor des Beitrags