Lernförderlichkeit

18. März 2005

Kein Benutzer beginnt als Experte. Jeder ist irgendwann einmal ein Anfänger. Bei nur gelegentlichen Aufgaben ist auch der ehemalig Fortgeschrittene wieder wie ein Anfänger. Anwendungssysteme sollten daher die Erlernung von Funktionalität und Bedienung fördern.

Anordnung der Benutzungsschnittstelle

Die Erlernbarkeit von Anwendungen beginnt mit der Organisation der Benutzungsoberfläche, so dass der Benutzer die anfangs und am häufigsten benötigten Funktionen direkt sehen kann – bei nicht-visuellen Schnittstellen, wie z. B. Telefonmenüs, ist „sehen“ durch „hören“ oder „fühlen“ zu ersetzen. Standardfunktionen sollten also nicht in der dritten Ebene oder am nicht sichtbaren Rand von Werkzeugleisten versteckt sein. Die Organisation der Benutzerschnittstelle führt den Benutzer durch die typischen Abläufe. Die räumliche Anordnung der Interaktionselemente kann diese Führung natürlich nur begrenzt übernehmen. Dafür sind die zu bearbeitenden Aufgaben und Abläufe bei typischen Office-Anwendungen zu unterschiedlich. Einfacher ist der Fall schon bei dezidierten Anwendungen, wie Fahrplan- und Fahrkartensystemen. Hier sind strengere Abläufe unterstellbar und entsprechend auch räumlich eindeutiger zu organisieren.

Bezeichnung von Funktionen

Ein wesentlicher Faktor für die Lernförderlichkeit sind die Begrifflichkeiten von Funktionen und sonstigen Interaktionselementen und gegebenenfalls deren grafischer Repräsentationen – Icons. Diese müssen sowohl knapp wie auch verständlich sein, und zwar in der Mutter- und Fachsprache der jeweiligen Zielgruppe. „Schusterjungen-“ beziehungsweise „Hurenkindregelung“ sind zwar für die Zielgruppe der Schriftsetzer alter Schule eindeutige Begriffe, aber für die Zielgruppe der heutigen Benutzer von Textverarbeitungsprogrammen unangemessen. Umschreibungsversuche, wie „Absatzkontrolle“ beziehungsweise „Zeilen nicht trennen“, zeigen die Schwierigkeit der anschaulichen Bezeichnung des zu vermeidenden Effektes von vereinsamten Absatzendzeilen am Anfang einer Seite bzw. von vereinsamten Absatzanfangszeilen am Ende einer Seite.

Die Lernförderlichkeit bezieht sich auch auf die Erlernung alternativer Methoden der Systemsteuerung. Werden Tastenkombinationen statt Menüoptionen erlaubt, so erleichtern die mit der Menüoption angezeigten Kommandokürzel – unterstrichener Anfangsbuchstabe – dessen Erlernung.

Bei manchen Anwendungen werden mehrere Stufen des Menüs angeboten. Der Anfänger erhält ein knappes Basismenü, der Fortgeschrittene ein erweitertes und der Experte ein volles Menüangebot. Diese Methode erlaubt eine Individualisierung auf die jeweilige Expertise, behindert aber den mit der Benutzung entstehenden Lernprozess des Benutzers: Auch ein Anfänger könnte schon in den ersten Phasen seiner Nutzung spezifische Funktionen nebenbei sehen und sich später in der Bedarfssituation erinnern: „Unter Extras gab es doch so etwas wie Wörter zählen, das könnte ich jetzt gut gebrauchen“.

Bei der Verwendung von Icons geht es nicht darum, die neckigsten Darstellungen zu finden, um die Aufmerksamkeit des Benutzers zu erreichen. Icons sollten vielmehr die zu Grunde liegende Funktion symbolisch in der Vorstellungswelt des Benutzers treffen. Ein textliches Etikett zu dem Icon tut der minimalistischen Designästhetik mancher Puristen zwar weh, erleichtert aber dem Anfänger die Erlernung der Bedeutung. Ein Kompromiss wird oftmals gewählt, indem die textliche Benennung nur während des Überstreichens des Icons mit der Maus erscheint. Manchmal wird auch eine Kombination gewählt, d.h. einige Funktionen, hier z.B. die Startseite, wird nur während des Überstreichens benannt, andere Funktionen, z.B. das Suchen, werden permanent zusammen mit dem Lupen-Icon benannt. Eine nachvollziehbare Regel für die beiden Varianten ist übrigens nicht erkennbar: weder steht das Haus-Icon selbsterklärender für die Startseite, noch ist das Lupenzeichen so viel schwerer der Suchfunktion zuzuordnen.

Eine wesentliche Hilfe für die Lernförderlichkeit einer Anwendung stellen die geführten Dialogsequenzen durch Dialogboxen dar. Hier wird ein dynamisches Element eingebracht, das im Dialog für die Ausführung einer Funktion notwendige Parameterwerte oder Steuerungsoptionen aktiv nachfragt. Der Benutzer lernt also während der Aufgabenbearbeitung, welche Schritte, welche Entscheidungen und welche Maßnahmen noch erforderlich sind. Für eine einmalige Aufgabenbearbeitung ist hier im eigentlichen Sinne gar kein Lernen erforderlich, die Aufgabe wird selbsterklärend erledigt. Bei häufiger Anwendung der geführten Aufgabenbearbeitung entsteht beim Benutzer ein Ablaufbild, das ihm hilft, Dauer, Aufwand, erforderliche Vorbereitungen etc. zu erlernen.

Einen besonderen Weg zur Erlernung einer Anwendung stellen Tutorials, Hilfeinformationen und Assistenten dar. Tutorials haben den Vorteil, dass sie die Abläufe bestimmter Aufgaben mit der authentischen Anwendung zeigen, also nicht nur abstrakt umschreiben. Sie haben den Nachteil, dass sie nicht eingebettet in die reale Aufgabenbearbeitung genutzt werden können. Sie stellen entweder eine Einführung vor der Systemnutzung dar oder sind Exkurse während der Systemnutzung. Online-Hilfen sind demgegenüber Lernhilfen während der Nutzung und beziehen sich zum Teil auf die aktuelle Problemsituation – kontextsensitive Hilfe. Assistenten versuchen, die Hilfe mit einer Planerkennung zu verbinden und in einen Dialog mit dem Benutzer über seine Ziele und Schwierigkeiten zu treten. Zum Teil werden Assistenten in Animationen gekleidet, was nicht von jedem Benutzer geliebt wird – um es höflich auszudrücken.

Diesen Beitrag bookmarken bei:
Bookmark bei: Yigg Bookmark bei: Webnews Bookmark bei: Technorati Bookmark bei: Mr. Wong Bookmark bei: Linkarena Bookmark bei: Del.icio.us Bookmark bei: Google Bookmark bei: Favoriten Bookmark bei: Facebook

Autor des Beitrags