Sind ältere Menschen die besseren Usability-Tester?

1. März 2007

Wer kann die Usability eines Produkts besser einschätzen? Ältere oder jüngere Testpersonen? Die Ergebnisse dieser Untersuchung sehen einen eindeutigen Vorteil auf Seiten älterer Menschen. Ihnen gelingt es durchweg besser, die Usability ganz unterschiedlicher Gegenstände einzuschätzen. Allerdings können sie ihre Urteile nicht besser begründen als jüngere Testpersonen.

Wer gibt treffendere „naive Urteile“ über die Usability von Produkten ab? Jüngere oder ältere Personen? – Dieser Frage sind die Autoren im Rahmen ihrer Studie näher auf den Grund gegangen.

Untersuchungsgegenstand

Untersucht wurden vier Fragestellungen aus verschiedenen inhaltlichen Bereichen: Wie sieht eine günstige räumliche Anordnung von Herdplatten aus, damit es nicht zu Verwechslungen beim Einschalten kommt? Wie sollten Badezimmerarmaturen gestaltet werden, damit sie sich auch mit feuchten Händen benutzen lassen? Welche Anordnung von Instruktionen auf einem Computerbildschirm lässt sich am schnellsten auf Informationen durchsuchen? Welche Zusammenstellung von Navigationskommandos für ein elektronisches Buch lässt sich am leichtesten lernen?

Für jede dieser Fragestellungen wurden sechs unterschiedliche Designversionen entwickelt, die sich hinsichtlich zweier Aspekte unterschieden. Nur einer dieser Aspekte war tatsächlich relevant für die Usability. Der andere Aspekt diente als Distraktor.

Unabhängige Variablen

Es wurden zwei unabhängige Variablen variiert: Die Testpersonen mussten entweder Urteile über einzelne Designvorschläge abgeben oder die sechs alternativen Designs vergleichend beurteilen. Des Weiteren wurden junge Erwachsene und ältere Erwachsene als Testpersonen rekrutiert.

Abhängige Variablen

Die Testpersonen gaben Urteile darüber ab, welche Produktversion ihrer Ansicht nach am besten ist und welches dabei die entscheidenden Eigenschaften sind. Außerdem sollten sie angeben, wie das Produkt verbessert werden könnte. Schließlich wurden sie um eine Erklärung für ihre Entscheidungen gebeten.

Ergebnisse

Die Auswertung der erhobenen Daten ergab einen Vorteil der älteren Testpersonen gegenüber den jüngeren Testpersonen hinsichtlich aller erhobenen Usability-Urteile. Bezüglich der Erklärungen für die Entscheidungen fanden sich keine Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Auch in den Ergebnissen der Urteile zu einzelnen Designversionen und den vergleichenden Urteilen aller sechs Designversionen fanden sich keine unterschiedlichen Ergebnisse.

Sind Ältere die besseren Usability-Tester

Die Autoren der Studie sehen in den Ergebnissen der Untersuchungen eine Unterstützung für die Hypothese, dass ältere Testpersonen bessere „naive“ Usability-Urteile abgeben. Sie scheinen die Usability von Produkten besser erkennen zu können als jüngere Testpersonen. Die Ursachen sind unklar und bedürfen einer weiteren Erforschung. Beispielsweise könnten diese Unterschiede mit der Lebenserfahrung einer Person zusammenhängen. Eine alternative Erklärung wäre, dass es für ältere Menschen wegen ihrer nachlassenden Fähigkeiten wichtiger ist, die Usability eines Gegenstandes schnell beurteilen zu können.

Originaltitel:Evidence for an Elders‘ Advantage in the Naive Product Usability Judgement of Older and Younger Adults
Autor(en): Stephens, E. C.; Carswell, C. M.; Schumacher, M. M.
Journal: Human Factors
Ausgabe: 48(3)
Seiten:422 – 433

Leserbriefe

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

ältere Erwachsenen sind hinsichtlich der Beurteilung von Gebrauchsnützlichkeit bei Geräten (Design, Funktion) sicherlich kritischer als junge Menschen. Hier zählt eben die Lebenserfahrung und die Gewissheit dieser Nutzergruppe, dass Firmen in der Lage sind altersspezifische Systeme problemlos entwickeln zu können. Firmen werden ggf. immer nach einer Standardkonfiguration eines Systems streben und keine altersspezifischen Ausführungen / Alternativen entwickeln, obwohl dies möglich wäre (Kostenfaktor?). Mit zunehmender demographischer Entwicklung in Richtung Überalterung der Gesellschaft, werden die Firmen sich auf diese Zielgruppe aber einstellen müssen, und die Gruppe der jungen Menschen möglichwerweise eher benachteiligen. Letztere ist wiederum nutzungsflexibler und kann sich diesen Anforderungen leicht adaptieren.

Firmen sollten – wo möglich – zielgruppenadaptive Systeme alternativ entwickeln, d.h. Systeme, die eine gewissen Nutzungsintelligenz aufweisen. Wo dies nicht möglich oder zu teuer ist, sollten Zusatzhilfen für Zielgruppen entwickelt werden, z.B. in Form von geeigneten altersdifferenzierten Handbüchern oder Softwaretrainingssystemen (etwa mit VR) für den Heim-PC.

Bernd Martens-Parrée

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