Usability von der Stange? Von Normen & Standards

18. März 2005

Es gibt zahlreiche Empfehlungen zur Gestaltung von Benutzungsschnittstellen für Software. Diese sollen sicherzustellen, dass Software effektiv, effizient und zufriedenstellend genutzt werden kann. Solche Empfehlungen findet man in einschlägiger Fachliteratur, in Tagungsbänden von Fachkonferenzen und eben auch in eigens hierfür entwickelten ISO-Normen. Doch wie lässt sich Software normen? Muss jedes Softwareprodukt dem anderen gleich sein? Was wird hier überhaupt „normiert“? Dieser Beitrag gibt einen Einblick in die Welt der Usability-Normen und bietet eine Ãœbersicht über die hierbei zentrale Normenreihe DIN EN ISO 9241.

Usability-Normen und technische Normen

Klassische Normen wie z.B. die DIN A4 sagen Herstellern des jeweiligen Produkts klipp und klar welche Eigenschaften ein Produkt haben muss. So sagt DIN A4, dass ein Blatt Papier 29,7cm hoch und 21cm breit zu sein hat. Solche Normen lassen sich auch als „technische Normen“ bezeichnen.

Anders sieht es bei „Usability-Normen“ aus. Hier findet man Empfehlungen wie „Falls für eine bestimmte Aufgabe Vorgabewerte vorliegen, sollten sie dem Benutzer verfügbar gemacht werden“ (DIN EN ISO 9241-10:1996). Diese Empfehlung ist nun im jeweiligen Kontext anzuwenden, für den die Software vorgesehen ist.

Das folgende Beispiel illustriert die Anwendung dieser Empfehlung in einem konkreten Kontext:

Wenn beim Ausfüllen eines Bildschirm-Formulars an einer bestimmten Stelle ein Datum eingegeben werden muss, das typisch – aber nicht zwingend – das aktuelle Tagesdatum ist, dann sollte das aktuelle Tagesdatum bereits vom System eingetragen sein und durch den Nutzer bei Bedarf überschrieben werden können.

Die ISO-Normen für Usability im Überblick

Produktnormen für Usability

Die folgenden Normen enthalten Empfehlungen in Hinblick auf die Gestaltung von Produkten und „Arbeitssystemen“. Darüber hinaus gibt es noch Prozessnormen für Usability (siehe zweiter Teil dieser Liste)

  • DIN EN ISO 9241
    Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten (insgesamt 17 Teile, Teile 1-9 sind primär hardware-ergonomische Normen und Teile 10 – 17 sind software-ergonomische Normen)
  • ISO 9355
    Ergonomische Anforderungen für die Gestaltung von Anzeigen und Stellteilen (insgesamt 2 Teile)
  • DIN EN ISO 11064
    Ergonomische Gestaltung von Leitzentralen (insgesamt 3 Teile)
  • DIN EN ISO 13406
    Ergonomische Anforderungen für Tätigkeiten an optischen Anzeigeeinheiten in Flachbauweise (insgesamt 2 Teile)
  • DIN EN ISO 14915
    Software-Ergonomie für Multimedia-Benutzungsschnittstellen
  • ISO/TS 16071
    Ergonomics of human-system interaction – Guidance on accessibility for human-computer interfaces
  • ISO/CD 23973:2004
    Ergonomics of human-system interaction – Software ergonomics for World Wide Web user interfaces

Prozessnormen für Usability

Prozessnormen unterscheiden sich von Produktnormen dahingehend, dass sie keine Empfehlungen für die Gestaltung von Produkten enthalten, sondern vielmehr Empfehlungen für die Durchführung von Aktivitäten enthalten, die dazu führen sollen, dass gebrauchstaugliche Produkte entstehen. Es gibt nur eine gültige Norm für den Prozess der benutzer-orientierten Gestaltung interaktiver Systeme, die DIN EN ISO 13407. Die weiteren hier genannten Dokumente sind so genannte „Technical reports“, das heißt, sie haben nicht den Charakter einer Norm, bieten aber viel Wissenswertes.

  • DIN EN ISO 13407 Benutzer-orientierte Gestaltung interaktiver Systeme
  • ISO/TR 16982 Ergonomics of human-system interaction – Usability methods supporting human-centred design
  • ISO/TR 18529 Ergonomics of human-system interaction – Human-centred lifecycle process descriptions

Genormte Software oder Normen für Software?

Um es gleich vorwegzunehmen, ISO-Normen haben nicht das Ziel Hersteller zur Produktion „genormter Software“ zu bringen, im Sinne von „jedes Fenster muss gleich aussehen“. Obgleich Konsistenz ein Prinzip professioneller Informationsdarstellung ist, ist sie für sich alleine genommen nicht der primäre Erfolgsfaktor für gebrauchstaugliche Software. Neben der Konsistenz gilt es primär sicherzustellen, dass eine Software die Erledigung von Aufgaben eine Benutzers sinnvoll unterstützt – und nicht behindert.. Somit muss die Software an die auszuführende Aufgabe angepasst sein, wie auch die Bildschirmarbeitsverordnung fordert.

Usability-Normen enthalten Empfehlungen, über deren Inhalt Konsens in der Fachwelt besteht und deren Missachtung zu einem oder mehreren der folgenden Nutzungsprobleme führt:

  • Benutzer schaffen es überhaupt nicht oder nur mit hohem Aufwand, mit der Software ihre Aufgabe zu erledigen
  • Benutzer werden nicht ausreichend mit handlungsleitender Information versorgt, um festzustellen, wo sie gerade sind, wie sie dort hin gelangt sind und wie sie nun einen Schritt weiterkommen.
  • Die Software verhält sich bei Benutzereingaben oder Auswahl anders als erwartet.
  • Erforderliche Richtungen können nicht eingeschlagen werden
  • Bei Eingabefehlern ist ein hoher Aufwand zu treiben, um zurück zur eigentlichen Aufgabe zu kommen.

Um konsequent, die oberen „Symptome“ zu vermeiden, ist es zielführend für Softwarehersteller und Softwareentwicklungsteams Usability-Normen bei der Produktentwicklung anzuwenden.

Usability-Normen und Hersteller-Styleguides

Usability-Normen sind keine Styleguides. Die Empfehlungen in Normen sind plattformunabhängig und geben keine „konkreten Lösungen“ vor, um so alle Kreativität der jeweiligen Designer zuzulassen. Styleguides sind typisch Dokumente von Herstellern, die konkrete Rahmenbedingungen und Gestaltungsrichtlinien für definierte Bestandteile der jeweiligen Benutzungsschnittstellen vorgeben, also z.B. ein grundsätzliches Layout für Fenster oder die genaue Größe von Tasten. Styleguides dienen einzig und allein der Sicherstellung der kontext-unabhängigen Konsistenz von Benutzungsschnittstellen. Das heißt, die konsequente Anwendung von Styleguides ist richtig und erforderlich, sie sagt aber noch nichts über die Aufgabenangemessenheit einer Software aus, da der Styleguide „die Arbeitsaufgabe nicht kennt“.

Fazit

Usability-Normen sind anders als technische Normen. Usability-Normen dienen nicht primär der Vereinheitlichung von Software, sondern vielmehr der Vermeidung vorhersehbarer Nutzungsprobleme. Man sollte Normen als „Referenzdokumente“ verwenden, in die man reinschaut, wann immer sich Fragen stellen in Bezug auf Dialoggestaltung, Informationsdarstellung, Benutzerführung, Menügestaltung, Bildschirmformulargestaltung und weitere Themen, die im Rahmen der Konzeption einer Benutzungsschnittstelle auftreten. Gelegentlich ist zu hören, dass Normen lediglich „alte Regeln“ zusammenfassen und somit nicht zeitgemäß sein können. Dies ist jedoch ein Irrtum. Insbesondere im Usability-Umfeld beschreiben Normen State-of-the-Art Empfehlungen, die in der Regel heute noch nicht von Produkten am Markt eingehalten werden. Die Anwendung der hier referenzierten Normen wird dringend empfohlen und dient als essentielle Basis für gebrauchstaugliche Produktentwicklung.

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