Usability ist Gesetz!

18. März 2005

Ärgern Sie sich im Büro eigentlich regelmäßig über Ihre Software? Haben Sie das Gefühl, dass viele Bedienschritte überflüssig oder zu umständlich sind? Sind Sie hin und wieder echt genervt durch die Arbeit am Computer? Wünschen Sie sich manchmal in die Zeit der Papierordner und Schreibmaschinen zurück?

Wenn Sie mindestens eine dieser Fragen mit „ja“ beantworten können, ist es wahrscheinlich, dass Ihre Software gegen das Arbeitsschutzgesetz verstößt. Noch wahrscheinlicher ist, dass Ihr Chef sich dessen nicht bewusst ist. Die gesetzliche Forderung, dass Arbeitgeber bei Entwicklung, Erwerb und Änderung von Software verpflichtet sind, dafür zu sorgen, dass diese auch „benutzerfreundlich“ ist, ist den meisten Menschen nicht bekannt. Was dies genau auf sich hat, erfahren Sie, wenn Sie diesen Artikel zu Ende lesen. Aber Vorsicht: Sie gehören dann zu den wenigen Menschen, denen bewusst ist, dass Arbeitnehmer ein Recht auf gebrauchstaugliche Software haben. An dieser Stelle eine Bitte: Erzählen Sie weiter, was Sie hier erfahren haben.

Das Arbeitsschutzgesetz

Um die Arbeitsbedingungen von Angestellten in Deutschland im Sinne der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes zu gestalten, wurde am 21. August 1996 das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verabschiedet. Im Rahmen des Arbeitsschutzgesetzes gilt für den Bereich der Informationstechnik seit dem 4. Dezember 1996 die Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV). Etwas salopp ausgedrückt steht in der Bildschirmarbeitsverordnung beschrieben, was die Einhaltung des Arbeitsschutzgesetzes für die Arbeit am Computer bedeutet.

Ein kleiner Test

Prüfen Sie doch einfach spaßeshalber für sich, ob die Software, mit der Sie täglich arbeiten müssen, im Sinne folgender Paragraphen gestaltet ist. Besonders spannend ist diese Prüfung bei „Individualsoftware“, die eigens für Ihre Arbeit programmiert wurde. Bei dieser Software gibt es vielleicht noch eine realistische Chance, ihr Arbeitnehmerrecht geltend zu machen und die Software optimieren zu lassen. Solange es allerdings keine ernsthafte Software-Alternative zu Monopolanbietern für Standardarbeiten im Büroumfeld gibt, macht es hier wohl wenig Sinn Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz anzuprangern. Egal an welche Software Sie jetzt denken – ich schlage vor, mit der Prüfung zu beginnen.

Bildschirmarbeitsverordnung – Anhang:
Zusammenwirken Mensch-Arbeitsmittel

21. Bei Entwicklung, Auswahl, Erwerb und Änderung von Software sowie bei der Gestaltung der Tätigkeit an Bildschirmgeräten hat der Arbeitgeber den folgenden Grundsätzen insbesondere im Hinblick auf die Benutzerfreundlichkeit Rechnung zu tragen:

21.1 Die Software muss an die auszuführende Aufgabe angepasst sein.

Hiermit ist gemeint, dass die Software ein nützliches Werkzeug für die Erreichung Ihrer Aufgabenziele sein soll. Nur ein paar Beispiele für eine unzureichende Anpassung der Software an Ihre Arbeitsaufgabe sind: überflüssige Eingaben; Eingaben, die sich der Computer eigentlich merken könnte; eine Menüstruktur, die nicht Ihrer Aufgabenlogik entspricht; Arbeitsergebnisse oder Zwischenergebnisse, die Sie gar nicht oder nur unvollständig erreichen können oder ein Bildschirmformular, dass nicht zu Ihrer Papierversion passt.

21.2 Die Systeme müssen den Benutzern Angaben über die jeweiligen Dialogabläufe unmittelbar oder auf Verlangen machen.

Sind Sie sich immer sicher, was der Computer gerade macht? Wissen Sie zum Beispiel sofort, wann Ihr Computer mit dem Speichern fertig ist und Sie weiterarbeiten können? Ist bei der Beschriftung von Eingabefeldern unmittelbar klar, was wie eingetragen werden muss? Verstehen Sie Rückmeldungen des Computers immer oder antwortet er manchmal mit technischem Programmierkauderwelsch? Passen die Hilfetexte zu Ihren Problemen? Das Prinzip, das sich hinter diesen Fragen, und somit auch hinter der beschriebenen Forderung versteckt, ist die Selbstbeschreibungsfähigkeit. Eine Software ist selbstbeschreibungsfähig, wenn Sie nicht andauernd Ihre Kollegen oder das Handbuch konsultieren müssen, sondern alleine durch die Informationen und Rückmeldungen der Software, erfolgreich arbeiten können.

21.3 Die Systeme müssen den Benutzern die Beeinflussung der jeweiligen Dialogabläufe ermöglichen …

Stellen Sie sich vor, Sie hätten ein Auto ohne Lenkrad, Gaspedal und Bremse. Sie hätten dadurch einige Probleme, denn dieses Vehikel wäre nicht steuerbar. Um die Steuerbarkeit geht es in diesem ersten Teil der Forderung 21.3. Eine Software ist steuerbar, wenn Sie zum Beispiel niemals eine Undo-Funktion vermissen. Wenn Sie Ihre Arbeit ohne Datenverlust unterbrechen können. Oder wenn Sie die Macht haben zu bestimmen, wann eine bestimmte Aktion ausgeführt wird oder nicht. In meinem letzten Prüfprojekt wurde mir eine Software gezeigt, die bei einem bestimmten Arbeitsschritt immer ein Formular ausgedruckt hat – dabei war dies in den meisten Fällen einfach unnötig. Da Benutzer diese Funktion nicht abschalten konnten, haben sie sich verständlicherweise über Papierverschwendung geärgert. Im Prüfbericht gab es natürlich einen dicken Minuspunkt bei der Steuerbarkeit. Haben Sie Ihre Software immer im Griff? Kommen wir nun zum zweiten Teil der Forderung 21.3:

… sowie eventuelle Fehler bei der Handhabung beschreiben und deren Beseitigung mit begrenztem Arbeitsaufwand erlauben

Irren ist menschlich und Fehler macht jeder. Wir haben größtenteils gelernt tolerant mit den Fehlern unserer Mitmenschen umzugehen. Wir versuchen sogar andere Menschen vor Fehlern zu bewahren – dass diese oftmals nicht hören wollen ist eine andere Geschichte. Zurück zur Software: Ist Ihr Computerprogramm tolerant gegenüber Ihren Fehlern? Oder müssen sie als Strafe fürs Vertippen noch einmal alles – das ganze Wort, die ganze Nummer, alle Formularfelder – neu eingeben? Ist ein Fehler leicht zu beheben, oder müssen Sie lange herum werkeln, bis alles wieder in Ordnung gebracht ist? Macht Sie das Programm vor der Weitergabe von Daten auf Eingabefehler aufmerksam?

21.4 Die Software muss entsprechend den Kenntnissen und Erfahrungen der Benutzer im Hinblick auf die auszuführende Aufgabe angepasst werden können.

Aus dieser letzen Forderung der Bildschirmarbeitsverordnung bezüglich des Zusammenwirkens von Mensch und Arbeitsmitteln lassen sich wiederum zwei Aspekte der menschengerechten Gestaltung der Arbeit mit Software herauslesen. Zum einen soll die Software zu den Kenntnissen und Erfahrungen ihrer Benutzer passen. Bitte fragen Sie sich, ob Sie für die Arbeit mit der Software neue Vokabeln lernen mussten, oder ob die Begriffswelt des Programms der in Ihrem Arbeitsalltag entspricht. Hier sind nicht nur technische Ausdrücke gemeint, sondern auch neue fachspezifische Begriffe, die Sie bisher nicht verwendet haben. Passiert es, dass Sie aus Gewohntheit eine bestimmte Taste drücken – zum Beispiel „F1“ für Hilfe – und etwas völlig Unerwartetes passiert? Wenn Sie keine neuen Vokabeln lernen mussten und die Software sich gemäß Ihren Erfahrungen erwartungskonform verhält, ist schon viel gewonnen. Allerdings steckt in der Forderung 21.4 noch mehr, nämlich die Anpassbarkeit. Haben Sie sich schon einmal gewünscht, gewisse Prozeduren abkürzen zu können, weil die Zwischenschritte ohnehin immer gleich sind und Sie diese schon im Schlaf erledigen können? Sind Sie vielleicht von gewissen Sicherheitsabfragen genervt, weil Ihnen klar ist, welche Konsequenzen Ihre Aktionen haben? Möchten Sie die Software vielleicht mehr mit den Tasten steuern, weil Ihnen die Arbeit mit der Maus nicht so liegt? Als Grundlage für eine Interpretation der Benutzerfreundlichkeit bzw. Usability dient nach EU-Rechtsauffassung die internationale Norm „ISO 9241“. Die hier vorgestellten Grundsätze aus der Bildschirmarbeitsverordnung finden sich fast eins zu eins in Teil 10 dieser Norm wieder.

Vielleicht fragen Sie einmal Ihren Chef, ob er sich über diesen Aspekt des Arbeitsschutzes schon einmal Gedanken gemacht hat?

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