Einsatzzweck und Grenzen des Usability Labors

18. März 2005

Was kann und sollte man untersuchen, wann ist das Labor nicht geeignet?

Die Benutzbarkeit von Anwendungen sollte anhand von realistischen Aufgaben untersucht werden. Der Kontext für eine realistische Aufgabenbearbeitung ist der reale Arbeitsplatz. Ergonomische Untersuchungen finden entsprechend auch in starkem Maße am Arbeitsplatz statt. Am Arbeitsplatz werden die authentischen Aufgaben bearbeitet, die notwendigen Dokumentvorlagen, Arbeitsflüsse und Kooperationen sind hier zu Grunde gelegt und zu beobachten und die Infrastruktur und Peripherie repräsentiert die realen Arbeitsverhältnisse. Es spricht alles dafür, hier, am Arbeitsplatz, die Usability-Erhebungen und -Analysen durchzuführen. Und doch, es fehlt etwas am Arbeitsplatz, was für die Usability-Beurteilung relevant ist.

Die Vorteile eines Labors

  • Am Arbeitsplatz kann nicht hinreichend oft und unter hinreichend variierten und kontrollierten Bedingungen eine Aufgabenbearbeitung durchgeführt und wiederholt werden. Im Labor hingegen kann die Aufgabenstellung außerhalb des Tagesgeschäfts definiert und organisiert werden. Die Freiheitsgrade für experimentelle Designs sind größer – auch wenn die realen Anforderungen und Fragestellungen aus dem Arbeitskontext abgeleitet werden.
  • Am Arbeitsplatz kann nicht genügend detailliert aufgezeichnet werden, wie die Aufgabenbearbeitung durchgeführt wird und welche Effekte beim Benutzer ausgelöst werden. Im Labor hingegen stehen fertig eingerichtete Aufzeichnungsmöglichkeiten, wie Videokamera und Mikrofon, Einwegspiegel, biometrische Messeinrichtungen etc. bereit. Personal und Methoden sind vorbereitet und leichter disponierbar als im Feld für den realen Arbeitsplatz.
  • Am Arbeitsplatz können nicht hinreichend viele Benutzer aus der Gesamtheit der realistischen Benutzerpopulation einbezogen werden – manchmal gibt es nur einen oder wenige Benutzer, die zum Zeitpunkt der Untersuchung zur Verfügung stehen. Im Labor hingegen können repräsentative Versuchspersonen in hinreichender Zahl und mit angemessener Verteilung auf verschiedene Merkmalsklassen rekrutiert werden. Die zeitliche Verfügbarkeit ist weniger eingeschränkt und überraschungssicherer als am realen Arbeitsplatz.

Für alle drei Punkte gilt allerdings die Generalbedingung: Das Setting muss realistisch bleiben!

Die Einsatzmöglichkeiten

Laboruntersuchungen finden vor diesem Hintergrund statt, um ergänzend – nicht ersetzend – zu den Begehungen, Beobachtungen, Interviews und Versuchen im Feld, mehr oder weniger streng kontrollierte Untersuchungen in einem geschützten Raum durchzuführen. Dies können, müssen aber nicht nur echte Experimente sein, bei denen die unabhängigen Variablen strikt kontrolliert und die abhängigen Variablen quantitativ gemessen werden. Es geht auch eine Nummer kleiner. Ein Labor erlaubt relativ freie Nutzungstests mit Versuchspersonen und Hilfsversuchsleitern, die in Partnergesprächen Nutzungsprobleme verbalisieren und damit Material liefern für Interaktionsanalysen. Diese Interaktionsanalysen können quantitativ angelegt werden, indem Fehler, Handbuchzugriffe oder Hilfeanfragen gezählt werden. Die Interaktionsanalysen können aber auch qualitativ angelegt werden, indem kritische Ereignisse identifiziert und aus dem verbalen und nonverbalen Interaktionsgeschehen Rückschlüsse gezogen werden auf mögliche Ursachen und Korrekturen.

Der Vorführeffekt

Noch eine ganz andere Funktion hat eine Laboruntersuchung: Sie erlaubt die Vorführung von realistischen Nutzungsepisoden gegenüber den Entwicklern, die anhand einer solchen Videokonfrontation eher sehen und einsehen, dass Benutzer mit ihren Entwicklungsergebnissen Probleme haben, als wenn dies „Experten“ nur behaupten. Solche Videokonfrontation kann theoretisch auch anhand von Arbeitsplatzaufzeichnungen erfolgen. Manchmal sind aber Videoaufzeichnungen am realen Arbeitsplatz praktisch nicht möglich oder Benutzer sind nicht bereit, anderen Betriebsangehörigen ihre Aufzeichnungen vorzuführen. Dann ist eine Laboraufzeichnung ein Mittel, um Entwicklern Interaktionsprobleme aufzuzeigen und sie für Alternativlösungen aufzuschließen. Betreiber von Usability Labs in großen Software-Häusern haben bei einer Befragung geäußert, allein die Ãœberzeugungsmöglichkeit ihrer Entwickler von der Notwendigkeit von Designänderungen habe die Investition in die Labs gerechtfertigt.

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