Die Usability-Branche – ein wilder Spross

13. Januar 2009

Der Usability-Branchenreport 2008 des German Chapters der UPA (Usability Professionals’ Association) zeigt es: Dem Thema „Usability“ wird in der Industrie mehr und mehr Beachtung geschenkt, das Berufsbild eines Usability-Qualitätssicherers etabliert sich zunehmend. „Jedes größere Unternehmen beschäftigt mittlerweile Menschen mit der Aufgabe, die Gebrauchstauglichkeit seiner Produkte zu verbessern.“ – liest man direkt in der Zusammenfassung der aktuellsten Umfrage der UPA unter rund 200 Personen, die sich beruflich mit Usability beschäftigen.

„Ach wie gut, dass niemand weiß…“?

Allerdings existiert für die „Person, die sich im Unternehmen mit Usability beschäftigt“ weiterhin noch kein einheitlicher Titel. Gemäß der häufigsten Nennungen sind „Usability Engineer“, „User Interface Designer“ oder „Usability Consultant“ die Klassiker unter den 85 genannten unterschiedlichen Berufsbezeichnungen. Natürlich sind Namen nur Schall und Rauch, denn Hauptsache hinter der Namensvielfalt sammeln sich Personen mit demselben oder vergleichbaren fachlichen Hintergrund. Aber tun sie das auch? Kann man davon ausgehen, dass alle „Usability-Menschen“ dasselbe unter Usability verstehen und über einen kleinsten gemeinsamen Nenner an Grundausbildung verfügen?

Anarchie ist machbar…

Fakt ist, dass Personen, die im Bereich der Usability-Optimierung tätig sind, weder ĂĽber eine einheitliche Berufsbezeichnung verfĂĽgen noch ĂĽber einen kleinsten gemeinsamen Nenner an Grundausbildung. Allerdings gibt es dennoch eine augenfällige Gemeinsamkeit, denn laut Branchenreport haben „fast alle Usability Professional (92%) […] einen akademischen Abschluss.“ Meist sind des Psychologen (21%) oder Absolventen aus Design- (17%), Medien- (14%) oder Informatik-Studiengängen (11%), die sich den Titel „Usability – …“ verleihen. Aber nicht allen Absolventen wurde durch ihr Studium praxisrelevantes Wissen ĂĽber Usability vermittelt. Am höchsten ist die Wahrscheinlichkeit in den Fächern Psychologie und Medienwissenschaften bereits im Studium etwas ĂĽber Usability zu erfahren.

… und das Geld stimmt.

Wenn schon nicht sicher ist wie man sich als „Usability-Mensch“ nennt, noch Sicherheit darĂĽber besteht welche Qualifikationen jemanden dazu befähigen, sich einen Usability-Titel zu vergeben – eins ist auf alle Fälle sicher: Das Geld stimmt. Das durchschnittliche Einstiegsgehalt (Berufserfahrung weniger oder gleich 1 Jahr) liegt bei 38.228 € brutto, wobei Psychologen und Informatiker sogar mit 45.000,- € ihre berufliche Karriere im Bereich Usability starten.

Benutzerbeteiligung ist immer geldwert

Wie kann es eigentlich sein, dass ein Beruf anscheinend boomt, ohne das klar ist wie dieser Beruf heißt, noch was man können muss, um ihn auszuüben? Eine mögliche Erklärung liegt gewiss in der Schnelllebigkeit unserer IT-Ära. Noch vor wenigen Jahren war es faszinierend, dass Dinge technisch gesehen überhaupt funktionierten. Das erste Handy, der erste „personal Computer“ sind kein halbes Jahrhundert alt. Die Frage, ob diese Dinge intuitiv zu bedienen waren erschien lächerlich vor dem Hintergrund, dass sie überhaupt existierten. Wer so ein Ding nicht bedienen konnte, war halt zu dumm. Die Entwicklung von IT war Technik- und nicht Benutzer-zentriert.

Allerdings ĂĽberschwemmten schon in relativ kurzer Zeit viele Anbieter den Markt mit vielen ähnlichen IT-Produkten – und es kam zum Wettbewerb, den – natĂĽrlicherweise- der Kunde entscheidet. Schnell wurde klar: Wer die Massen bedienen will, muss fĂĽr die Massen bedienbare Produkte entwickeln. Und schnell wurde der Ruf nach Beratung in diesem Bereich laut: Ist mein Produkt fĂĽr meine Zielgruppe bedienbar? Was muss ich ändern? Wie muss ich entwickeln, damit mein Produkt immer zuverlässig von meinen Kunden verstanden wird? Zwar war noch niemandem klar wie man diese Fragen beantwortet, allerdings lag es nahe, dass der Benutzer der Produkte mit der Antwort irgendetwas zu tun haben sollte.

Und hier kam dann der Usability-Mensch ins Spiel. Sein Job wurde es, in erster Linie dafür zu sorgen, dass Benutzer bei der Produktentwicklung mit im Boot sitzen. Fast jede Art der Benutzerbeteiligung ist nämlich besser als keine, egal welcher fachliche Hintergrund bei den Menschen vorliegt, der sich um die Benutzerseite kümmert. Benutzerbeteiligung ist immer geldwert.

Qualitätssicherung der Qualitätssicherung

Schnell, schnell, schnell! Schnelle IT-Entwicklung, ein schnell explodierender Konkurrenzmarkt mit Kunden, die ihre IT verstehen wollen, und schnell Bedarf nach einem Berufsbild, das dafür Sorge trägt, dass Kunden die IT-Produkte intuitiv begreifen können. Am Anfang mag es in diesem Beruf genügt haben, es überhaupt zu tun: Die Benutzer mit ins Boot zu holen, um eine Qualitätssicherung der Produkte aus Benutzersicht vorzunehmen.

Jedoch entsteht mittlerweile ein „Meta-Bedarf“: Bedarf nach Qualitätssicherung der Qualitätssicherung. Es kann nicht sein, dass unterschiedliche Usability-Menschen zu unterschiedlicher Beratungsergebnissen kommen, die sich zum Teil komplett widersprechen. Ein großer Telekommunikationsanbieter hat jüngst zur Usability derselben Internetseite von zwei unterschiedlichen Usability-Beratungsagenturen das Feedback „Weiter so, besser geht es aus Usability-Sicht nicht!“ und „Es wird eine komplette Überarbeitung empfohlen“ erhalten.

Peinlich für die Branche, aber kein Wunder, denn die Usability-Meschen sind beim Wissenserwerb praktisch auf sich selbst gestellt. Über 80% gaben laut Branchenreport an, sich in Eigenregie durch Zeitschriften und Bücher weiterzubilden, knapp über 70% nutzen auch das Internet, um sich Wissen anzueignen. Ansonsten lehrt das Leben: Knapp über 90% lernen durch „Training on the Job“.

Langsam etabliert sich nun eine weitere Branche, nämlich der Ausbildungszweig im Bereich Usability. Universitäten und andere akademisch fundierte Einrichtungen, wie zum Beispiel das Fraunhofer-Institut FIT, das artop-Institut an der Humboldt-Universität zu Berlin, aber auch die German UPA als anerkannter Berufsverband der deutschen Usability und User Experience (UX) Professionals sowie die Usability-Arbeitsgruppe der Deutschen Akkreditierungsstelle für Technik (DATech) bemühen sich um eine schärfer umrissene Definition des Berufsbildes bzw. um ein Ausbildungsangebot, das eine qualitativ hohes Wissensniveau beim Start in das Berufsleben als Usability-Mensch garantiert.

Ein gewisses Maß an Mindestqualität

Natürlich wird es nicht so sein, dass man nach Etablierung der Usability-Ausbildungen bzw. -Studiengänge und nach „beamtengenauer“ Definition des Berufsbildes den einen Usability-Berater 1:1 gegen einen beliebigen anderen tauschen kann. Bäcker backen ja auch nicht alle die gleichen Brötchen. Persönliche Vorlieben und Berufserfahrung werden immer ihren Teil dazu beitragen wie Usability verstanden und umgesetzt wird. Dennoch sollte sich mit der Zeit ein gewisses Maß an Mindestqualität bezüglich Usability-Wissen unter den Usability-Beratern einstellen, was den Wildwuchs in der die Usability-Branche ausdünnt und so weiterhin ein Aufwärtswachstum des Berufszweigs garantiert.

Quelle: UPA Branchenreport 08

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