Usability für Senioren

12. Mai 2005

Senioren zählen zu der am schnellsten wachsenden Nutzergruppe im Internet. Durch den natürlichen (biologischen) Alterungsprozess ergeben sich jedoch besondere Anforderungen an die Usability von Internet-Auftritten für Senioren. Shirley Ann Becker vom Florida Institute of Technology hat in ihrer Studie die Hauptanforderungen herausgearbeitet und an 125 US-amerikanischen Internet-Auftritten getestet. Der Großteil der getesteten Internet-Auftritte enttäuschte bezüglich der Berücksichtung der seniorengerechten Anforderungen.

Alterungsbedingte Auswirkungen auf Web Design

Der biologische Alterungsprozess bedingt eine Abnahme der Sehfähigkeit, der kognitiven Leistungsfähigkeit und der feinmotorischen Kontrolle von älteren Menschen. Diese Faktoren sollten in der Gestaltung von Internet-Auftritten für Senioren ausreichende Beachtung finden.

Sehfähigkeit

Da das menschliche Auge mit zunehmendem Alter einen Teil der Flexibilität der Linse verliert, fällt es älteren Menschen zunehmend schwer nahe liegende Objekte zu fokussieren. Zudem nimmt auch die Sehschärfe ab. Die Farbwahrnehmung des Auges wird durch eine Verdickung der Linse beeinträchtigt. Auch die Fähigkeit zur Adaptation an verschiedene Lichtverhältnisse nimmt durch den Alterungsprozess ab. Die Tiefenwahrnehmung ist ebenfalls beeinträchtigt.Diese alterungsbedingten Faktoren haben Auswirkungen auf die Textlesbarkeit, das Lesetempo, die Navigation und auf das Suchverhalten von älteren Menschen bei der Nutzung von Websites. Für die Gestaltung von seniorengerechten Websites bedeutet dies, dass eine ausreichend grosse Schriftgrösse und Schriftart gewählt werden sollte, dass mit möglichst kontraststarken Elementen gearbeitet werden sollte und dass auf die Verwendung von Animationen und kontrastschwachen Hintergrundbildern verzichtet werden sollte.

Kognitive Leistungsfähigkeit

Auch die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns verringert sich mit zunehmendem Alter. Dies wirkt sich unter anderem auf die Kapazität des Kurzeitgedächtnisses, der Konzentrationsfähigkeit und der Konzeptformation aus. Für die Gestaltung von Internet-Auftritten hat dies Auswirkungen auf die Navigationsstruktur, Suchmöglichkeiten und die Verwendung von Elementen, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Feinmotorische Koordination

Die Fähigkeit, präzise und genaue feinmotorische Aufgaben zu erledigen, nimmt mit zunehmendem Alter ab. Dies hat für die Nutzung von Computern vor allem Auswirkungen auf den Umgang mit der Maussteuerung. Die exakte Positionierung des Mauszeigers kann für ältere Menschen schwierig sein. Bei der seniorengerechten Gestaltung von Websites sollte deswegen auf die Verwendung von Steuerungselementen, die den exakten Einsatz einer Maus (z.B.: Pull-down-Menüs, kleine Links) erfordern, verzichtet werden.Interessierte finden in der Studie eine gute Übersicht über die Anforderungen, die an eine seniorengeeignete Gestaltung von Internet-Auftritten gestellt werden.

Gesundheit an erster Stelle

Untersuchungen in den USA haben gezeigt, dass ältere Menschen sich vor allem für Gesundheitsthemen im Internet interessieren. Das Internet ermöglicht älteren Menschen Zugang zu Gesundheitsinformationen, die ihnen anderweitig nicht zur Verfügung stehen. Um jedoch die angemessene Nutzung dieser Informationen zu gewährleisten, müssen die Internet-Auftritte den besonderen Anforderungen der Zielgruppe gerecht werden. Shirely Ann Becker untersuchte in der Studie das Angebot an Gesundheitsinformationen der Websites von 50 eGovernment-Auftritten, 25 nicht-kommerziellen und 25 kommerziellen Auftritten sowie von 25 Zeitungsauftritten.

Der Evaluationskatalog

Shirley Ann Becker evaluierte die Websites entlang vier Dimensionen: Design, Performance, Übersetzung und Leseverständlichkeit. Es wurde jeweils die Homepage der Internet-Auftritte an Hand einer Checkliste evaluiert.

Design

Das US National Institute on Aging (NIA) und die IUS National Library of Medicine (NLM) haben eine Richtlinie (Guidelines for Making Senior-Friendly Web Sites) für die seniorengerechte Gestaltung von Internet-Auftritten herausgegeben. Die Richtlinie basiert auf wissenschaftlichen Untersuchungen und greift im Wesentlichen die oben genannten alterungsbedingten Auswirkungen auf.Keine Website konnte in allen Kategorien der seniorengerechten Gestaltung überzeugen. Insgesamt verwendeten 93% aller getesteten Websites eine zu kleine Schriftgröße. Zusätzlich konnte bei 40% dieser Websites die Schrift auch nicht durch den Browser vergrößert werden. Dies kann besonders für ältere Menschen ein beachtliches Hindernis hinsichtlich der Textlesbarkeit darstellen. Pull-down-Menüs wurden von 24% der Internet-Auftritte eingesetzt, was die Nutzung dieser Websites für Menschen mit reduzierten feinmotorischen Fähigkeiten potentiell erschwert. Die durchschnittliche Seitenlänge fast aller Websites überschritt die von der Richtlinie empfohlenen Vorgaben zum Teil erheblich. Das zahlreiche Fehlen von Hilfefunktionen und Site-Maps kann zusätzliche Barrieren für die Nutzung der Websites durch ältere Menschen darstellen.

Insgesamt wiesen die eGovernment Websites nach der NIA/NLM Richtlinie mehr seniorengerechte Gestaltungselemente auf als die anderen Websites. Die Internet-Auftritte von Zeitungen waren am wenigsten seniorengerecht gestaltet.

Performance

Die Performance wurde als die durchschnittliche Download-Dauer der Homepage per 56.6kps Modem gemessen. Nach Berechnung von Shirley Ann Becker geht rund die Hälfte der Senioren per 56.6kps Modem Online. Nach Empfehlung des National Cancer Institutes sollte eine Homepage nicht länger als 10 Sekunden zum Laden brauchen, da Benutzer sonst das Interesse verlieren. Dabei brauchte jedoch selbst die „schnellste“ Website in der Studie immer noch 20 Sekunden zum Erscheinen. Im Durchschnitt waren es sogar 40 Sekunden. Dies stellt zusätzliche Hindernisse für die Nutzung der Websites durch Senioren auf.

Ãœbersetzung

Übersetzung wurde von Shirley Ann Becker wegen der stark anwachsenden Gruppe von nicht englisch sprechenden Senioren in den USA in die Evaluation mit eingebunden. Dabei boten jedoch nur 12% der Websites eine spanische Übersetzung an. Allerdings gab es selbst bei diesen Websites zum Teil erhebliche Probleme, da zwar der Inhalt in der Übersetzung angeboten wurde, die Navigationselemente und Linkbeschreibungen jedoch weiter auf Englisch geführt wurden.

Leseverständlichkeit

Das benötigte Leseniveau für das Verständnis der Informationen auf den Websites überstieg in fast allen Fällen das von NIA/NLM empfohlene Niveau der „6th Grade“ (ungefähr vergleichbar mit dem Grundschulniveau in Deutschland; Anmerkung der Redaktion). Schwer verständliche Texte können nicht nur das Verständnis der Informationen durch ältere Menschen einschränken, sondern können potentiell auch zu einer Fehlinterpretation der Informationen führen. Das Leseniveau wurde durch den Automated Readability Index und den Kincaid Index bestimmt. Für die Texte auf über 30% der Internet-Auftritte waren mindestens „High School“ Kenntnisse (ungefähr vergleichbar mit dem Oberstufenniveau in Deutschland; Anmerkung der Redaktion) nötig.

Fazit

Insgesamt enttäuschte der Großteil der Internet-Auftritte bezüglich ihrer Seniorengerechtheit. Gerade die für Senioren als sehr wichtig empfundenen Informationsangebote zu Gesundheitsthemen haben hier bedeutenden Nachholbedarf. Allerdings müssen auch die Richtlinien für die seniorengerechte Gestaltung von Websites verfeinert und weiter instrumentalisiert werden, um Entwicklern bei der Umsetzung von seniorengerechten Internet-Auftritten von noch größerem Nutzen zu sein.

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